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POSITIONEN: Gemeinsam über Werte reden

Das Schulfach Ethik fördert in einer Stadt wie Berlin die Integration. Die Entscheidung zwischen Religion und Ethik entbehrt allerdings jeden Sinn.

Mit vollem Pathos fordert ProReli „Freie Wahl zwischen Ethik und Religion“, eine Forderung, die sich bei näherer Betrachtung allerdings schnell als Eigentor entpuppt: Welcher Christ würde wohl ernsthaft glauben, zwischen Religion und Ethik wählen zu können? Christinnen und Christen wissen vielmehr, dass Religion und Ethik zwei Seiten ein und derselben Medaille sind (und sie wissen natürlich auch, dass Konfessionslose das mit gutem Recht ganz anders sehen).

„Wahlfreiheit“ – was wie eine Verheißung klingt, ist in Wirklichkeit ein Euphemismus für Entscheidungszwang. Hätte das Volksbegehren Erfolg, würden sich Jugendliche künftig zwischen Ethikunterricht und Religionsunterricht entscheiden müssen, einen Sinn aber ergibt das nicht. Wir „Christen pro Ethik“ sind für Religionsunterricht. Wir haben Respekt vor den Religionslehrerinnen und Religionslehrern, die gute Arbeit unter oftmals schwierigen Bedingungen leisten. Aber wir wollen deutlich machen, dass man – gleichfalls aus christlicher Verantwortung – zu einer anderen Position in der Sache kommen kann als ProReli, dessen Anliegen sich die großen Kirchen mehrheitlich zu eigen gemacht haben: Wir halten es für richtig, dass der Senat ein Pflichtfach Ethik ab der 7. Klasse eingeführt hat, und wollen, dass es dabei bleibt. Wir ermuntern die Schülerinnen und Schüler, zusätzlich den Religions- beziehunsgweise Weltanschauungsunterricht zu besuchen, um in ihrer eigenen Konfession sprachfähig zu werden. Und wir erinnern daran, dass der Senat dazu beiträgt, dieses Angebot der Kirchen und Gemeinschaften sicherzustellen, indem er 90 Prozent der Personalkosten trägt.

Die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek hat in einem Rundfunkinterview die Ansicht vertreten, dass die Integration der in Deutschland lebenden Muslime gescheitert sei. Das ist ihre Meinung, die Meinung einer mutigen Frau. Wir müssen sie nicht teilen. Die Analyse allerdings sollte uns sorgenvoll stimmen. Tatsächlich diskutieren wir schon seit längerer Zeit über gelingende oder nicht gelingende Integration. Wir diskutieren über entstehende oder schon vorhandene Parallelgesellschaften und die Gefahren, die davon für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ausgehen. Die Demografen sagen uns, dass bereits in wenigen Jahren die Mehrheit der Berliner Schüler einen sogenannten Migrationshintergrund haben wird. Als ökumenische Initiative Christen pro Ethik fragen wir: Was ist in dieser Situation das Beste – nicht zuerst für die Kirche, sondern – für unsere Stadt. Wir wollen nicht, dass die Berliner Schüler bei wichtigen Themen wie Lebensgestaltung, Ethik, Werten und Normen sofort nach Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen in Gruppen und Grüppchen aufgeteilt werden. Wir wollen, dass es ein Schulfach gibt, in dem alle Schüler gemeinsam solche Fragen diskutieren können und müssen und dabei lernen, Toleranz und Dialogfähigkeit einzuüben, Konsens anzustreben und Dissens zu akzeptieren und auszuhalten. Dieses Schulfach ist das Fach Ethik.

In Berlin ist weder ein Glaubenskrieg ausgebrochen, noch taugt das Thema für eine Neuauflage des Kulturkampfes. Es geht um die Sachfrage, ob Jugendliche in dem fraglichen Themenbereich im Zweifelsfall nur bekenntnisgebunden oder aber, wie wir meinen, in jedem Fall auch staatlich unterrichtet werden sollen.

Von unseren Kirchen erwarten wir, dass sie sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, den Rahmenplan des Faches Ethik wie im Schulgesetz vorgesehen um einen qualifizierten Block Religionskunde beziehungsweise Information über Religionen zu erweitern. In diesem Themenblock muss es um die Religionen in Geschichte und Gegenwart gehen, um ihre Licht- aber auch um ihre Schattenseiten, um die Möglichkeit, von einer Religion in eine andere überzuwechseln – und auch um die Freiheit, ganz ohne Religion ein glückliches und ethisch verantwortetes Leben zu führen.

Der Autor ist Pfarrer am Französischen Dom in Berlin und Mitglied der Initiative „Christen Pro Ethik“.

Stephan Frielinghaus

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