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POSITIONEN: Jedem Kind ein Instrument

Berlin sollte endlich die Grundmusikalisierung seiner Schüler betreiben. Andere Bundesländern tun das längst.

Dreizehn Berliner Dirigenten und Intendanten haben gegen die Vernachlässigung des Musikunterrichts in den Sekundarschulen protestiert. Hoffentlich hat ihr Protest Erfolg. Die musikalische Erziehung als Kernbestandteil kultureller Bildung hatte in Deutschland stets einen hohen Stellenwert. In Berlin gibt es eine Fülle von Initiativen, die die kulturelle Bildung der Kinder und Jugendlichen fördern. Stiftungen ermöglichen Eltern und ihren Kindern Opernbesuche. Über vertragliche Verpflichtungen hinaus begeistern Orchester und Chöre mit ihrem Engagement ein zukünftiges Publikum. Großartig: Die Bürgergesellschaft entlastet den Staat. Fatal: Der Staat fühlt sich zu sehr entlastet. Die Nachhaltigkeit der kulturellen Bildung bleibt auf der Strecke.

Senator Jürgen Zöllner hat recht: Den Schülern der Sekundarschule steht es frei, Musik als Unterrichtsfach zu wählen. Die Eltern des Bildungsbürgertums werden dafür auch in Zukunft sorgen. Die überfüllten Musikschulen zeigen es. In vielen Bezirken aber ist das Bildungsbürgertum längst in der Minderheit. Woher aber soll dort beim Großteil der Kinder und Jugendlichen die Motivation kommen, Musikunterricht zu wählen? Die Voraussetzung dafür muss im Kindergarten und vor allem in der Grundschule gelegt werden.

Dafür gibt es ein Vorbild: JeKi. „Jedem Kind ein Instrument“ ist ein Programm, das auf Initiative der Kulturstiftung des Bundes im Ruhrgebiet gefördert wird. Das JeKi-Programm ist eine Chefsache des Ministerpräsidenten; Jürgen Rüttgers verspricht, JeKi auf ganz Nordrhein-Westfalen auszudehnen. Auf NRW sind Hamburg, Hessen, Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern gefolgt. Im Ruhrgebiet nehmen im dritten Jahr des Bestehens 63 000 Kinder in 534 Grundschulen und in 42 Kommunen an JeKi teil.

JeKi umfasst vier Jahre der Grundschule. Das erste Jahr ist für alle Schüler verpflichtend – und kostenfrei. Musikschullehrer und Grundschullehrer kooperieren als Tandem. Ziel ist die „Grundmusikalisierung“ aller Schüler. Am Ende des Jahres entscheiden sie sich für ihr Wunschinstrument. Es folgen der freiwillige Instrumentalunterricht und die Mitwirkung im Orchester „Kunterbunt“, das aus dem Programm der Schulfeste nicht mehr wegzudenken ist. Der Unterricht kostet nun 25, später 35 Euro monatlich; ein großzügiges Stipendienprogramm sorgt dafür, dass jedes Kind mitmachen kann. Finanziert wird JeKi durch eine große Koalition aus Land, Kommunen, privaten Stiftungen und vielen individuellen, engagierten Paten und lokalen Spendern.

JeKi hat Probleme. Es ist erfolgreich, wächst aber zu schnell. Es fehlen bereits Musikschullehrer. Die Anforderungen an sie sind groß; der Übergang vom Individual- zum Gruppenunterricht mit durchschnittlich fünf Kindern bereitet Schwierigkeiten. Zwei Ziele sind schwer miteinander zu vereinbaren: die Teilnahme aller zu sichern und gleichzeitig die Spitzenleistung einiger Schüler möglich zu machen. Ohne Breitenförderung aber ist Exzellenz nicht zu erreichen. Und nur so wird durch kulturelle Bildung ein für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft entscheidender Effekt erreicht: die Integration bildungsarmer Schichten, mögen sie nun aus unserer eigenen oder aus einer fremden Kultur kommen. Bereichernd wirkt dabei das Interesse an unterschiedlichen Musikstilen.

Trotz aller Schwierigkeiten: Früh einsetzende Langfristprogramme wie JeKi können Jugendliche, die ja durchaus musikbegeistert sind, für den schulischen Musikunterricht motivieren. Warum ist, was in NRW entstand und jetzt in vielen anderen Ländern praktiziert wird, in Berlin nicht möglich? Der Landesmusikrat hat recht: Musikunterricht muss Chefsache sein, „damit jedem Kind, gleich welcher sozialen oder ethnischen Herkunft, der Zugang zur musikalischen Bildung ermöglicht wird“. Berlin ist reich an Eventkultur. Es ist arm an Nachhaltigkeit.

Die Autorin ist Vorstandsmitglied im Verein „Early Excellence. Kinder- und Familienzentren“ und im Kuratorium von „JeKi. Jedem Kind ein Instrument“.

Annette Lepenies

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