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POSITIONEN: Kirche und Krieg

Wann dürfen Soldaten kämpfen? Was die christliche Ethik zur Bundeswehr in Afghanistan sagt.

Die Neujahrspredigt der EKD-Ratsvorsitzenden, Bischöfin Margot Käßmann, hat die Wogen hochschlagen lassen. Sie hatte große Skepsis gegenüber dem deutschen Afghanistaneinsatz geäußert: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Dafür ist sie von vielen kritisiert worden; eine solche Stellungnahme sei nicht Sache der Kirche.

So pauschal kann das nicht gelten. Auch das Zweite Vatikanische Konzil hat den Anspruch der katholischen Kirche bekräftigt, „politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person … es verlangen“. Das bedeutet nicht, dass Kirche Einsichten in das normativ Gebotene proklamieren könnte, die sie auf göttliche Offenbarung stützt. Wie alle Teilnehmer am gesellschaftlichen Dialog kann sie nur mit Vernunfteinsichten argumentieren. Ihre besondere Aufgabe findet sie jedoch darin, dass sie zur Stimme derer wird, die keine Stimme haben. Im Kontext von Krieg und Gewalt sind das häufig diejenigen Menschen, die sich nicht wehren können. Kirche wird in allem, was sie zu Afghanistan zu sagen hat, immer die Perspektive der Schwächsten im Auge behalten.

Deshalb muss es das Anliegen von Kirche sein, dass Entscheidungen über die beste Strategie auch in ihren Auswirkungen auf diejenigen bedacht werden, die niemandem zur Gefahr werden können. Nur eine Strategie, die sich auch gegenüber diesen Menschen rechtfertigen lässt, kann legitim sein. Das Schlimmste, was für die Wehrlosen eintreten kann, ist eine (Un-)Ordnung, in der sie gänzlich rechtlos dem Gutdünken der Mächtigen ausgeliefert sind.

Daher muss ein Minimum an Rechtszustand erreicht werden, bevor die Truppen Afghanistan verlassen dürfen. Genozid, Völkervertreibung und Massenvergewaltigung müssen ausgeschlossen werden können. Solange das nicht der Fall ist, müssen die Soldaten am Hindukusch bleiben. Ferner wird Kirche darauf aufmerksam machen müssen, dass vom Schutz vor Willkür allein noch kein Mensch leben kann. Afghanistan werden wir daher nicht eher verlassen dürfen, bevor nicht die Aufbauleistungen sicherstellen, dass zumindest Grundbedürfnisse befriedigt werden können.

Diese Überlegungen geben auch eine erste Maxime für das an die Hand, was an Gewalt konkret angewendet werden darf: Sie muss sich auch gegenüber den von ihr unmittelbar Betroffenen rechtfertigen lassen. Gegen Menschen, von denen Unrechtsgewalt ausgeht, ist der Einsatz von Gewalt grundsätzlich gerechtfertigt; deren Schaden muss allerdings im rechten Verhältnis zu der militärischen Bedeutsamkeit des erstrebten Zieles stehen.

Dürfen aber Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen werden? Dies kann unter streng geregelten Bedingungen erlaubt sein. Sie sind im sogenannten Diskriminationsprinzip enthalten. Wenn überhaupt dürfen Zivilpersonen nur in der Bekämpfung von Menschen, von denen Gewalt ausgeht, Opfer von Gewalt werden. Bei Schäden an der Zivilbevölkerung muss es sich also um einen indirekten, einen „Kollateralschaden“ handeln – ein missbräuchlicher Begriff. Auf ihn zu verzichten, würde aber bedeuten, auch das Leid von Zivilisten nur noch in Kategorien der Verhältnismäßigkeit zu fassen.

Zugegeben: Alles bisher Gesagte ist noch zu abstrakt, um Politik ethisch auszurichten. Die Kirchen werden hier nachlegen müssen. Vor zwei Dingen muss sich Kirche hüten. Die Gewissensnot, nicht zu wissen, was konkret zu tun ist, kann Kirche den Menschen nicht abnehmen. Für sie ist die Versuchung groß, ihren gesellschaftlichen Bedeutungsverlust durch politische Ratschläge wettmachen zu wollen. Die entgegengesetzte Gefahr besteht darin, dass Kirche nicht hinreichend konkret wird. Hehre Friedensappelle, die keine Möglichkeiten geben, zwischen legitimer und illegitimer Gewalt zu unterscheiden, werden letztlich nur faktisch geübte Gewalt rechtfertigen.

Hier ist die Klugheit derer gefordert, die die Kirchen leiten. Sie werden sich stets fragen müssen, was sie für die Wehrlosesten der Wehrlosen tun.

Der Autor ist stellvertretender Direktor am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg.

Gerhard Beestermöller

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