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POSITIONEN: Umverteilung der Umverteilung

Wir werden auch mit weniger Wachstum gut leben können.

Was immer die Enquetekommission des Bundestages zur Wachstumsfrage herausfinden wird, die Aussicht auf höhere Wachstumsraten wird es nicht sein. Schließlich hat auch die EU den Versuch aufgegeben, das jährliche Wirtschaftswachstum gezielt auf drei Prozent anzuheben. Die Zuwächse pro Kopf betrugen zwischen 2001 und 2010 in Deutschland, England oder Frankreich weniger als ein Prozent.

Ganz andere Sorgen um das Wachstum macht sich China. Dort war für 2005 bis 2010 ein jährliches Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent geplant. Erreicht wurden gigantische 11,2 Prozent. Die Regierung sieht dies überbordende Wachstum durchaus kritisch: Bei den Preisen droht eine Überhitzung. Sozial und regional klafft der Wohlstand auseinander. Das höchste Wachstum haben ausgerechnet energieintensive Industrien. Wachstumsprobleme werden auch bei den Rohstoffen gesehen. Überdies macht die wirtschaftliche Dynamik die Wirkungen der Umweltpolitik zunichte.

Die Wachstumsprobleme sind also in Deutschland und China sehr verschieden. Aber in beiden Ländern wird nun auf „grünes“ Wachstum gesetzt. Das ist auch die neue Strategie der OECD. Aber taugt die Umweltthematik als letzter Ausweg des Wachstumssystems? Dafür sprechen die gigantischen Zuwächse, die bei den erneuerbaren Energien, der Wasser- oder Recyclingtechnik erzielt werden. Manchem Umweltschützer wird bei so viel Wachstum ganz mulmig zumute.

Letztlich kann aber auch „grünes“ Wachstum insgesamt nur ein moderates Wachstum sein. Denn der Boom der umweltfreundlicheren Technologien kommt ja ökologisch nur dann zum Tragen, wenn er die problematischen Produktionen und Produkte ersetzt. Unter dem Strich ergibt „grünes“ Wachstum dann vermutlich einen höheren Zuwachs als der Normalbetrieb. Aber zu hohem Wachstum wird es kaum führen.

Wir werden also mit geringeren Zuwächsen leben müssen. Das muss kein Unglück sein – ein Prozent mehr BIP heißt in Deutschland immerhin 25 Milliarden. Die entscheidende Konsequenz muss aber sein, dass wir unsere sozialen und budgetären Probleme anders als durch Wachstum lösen. Das ist das große Thema, das im Bundestag eigentlich auf der Tagesordnung stehen müsste.

Wenn wir die genannten Probleme endlich in ihrer eigenen Logik angehen, eröffnen sich Chancen, die nachhaltige Entwicklung durchaus attraktiv machen können. Nehmen wir die Arbeitsmarktprobleme: Hier zeigt die OECD, dass die umweltintensiven Branchen wenig zur Beschäftigung beitragen, anders als etwa die wissensintensiven Wirtschaftszweige. Arbeitsplätze entstehen auch, wenn nicht Arbeit, sondern Ressourcen eingespart werden. Wie groß hier das Potenzial ist, zeigt die Tatsache, dass in Europa 95 Prozent der eingesetzten Ressourcen schon in der Produktion verbraucht wurden, bevor das betreffende Produkt den Markt erreicht.

Auch bei der Lösung der sozialen und budgetären Probleme sind wir nicht unbedingt auf den Wachstumsmotor angewiesen. Seit den Tagen von Ronald Reagan und Margaret Thatcher wurde Einkommen von unten nach oben umverteilt. Dies zumeist im Namen eines Wachstums, das dann doch nicht erzielt wurde. Wird diese ungerechte Umverteilung auch nur teilweise rückgängig gemacht, bietet sich ein gewaltiges Potenzial. Die damit verbundene Verminderung von Luxuskonsum ist übrigens auch ökologisch vorteilhaft.

Die neue Wachstumsdiskussion – auch die der Enquetekommission – hat die Zuwachsraten hinter sich gelassen. Jetzt geht es darum, wie, wozu, von wem und für wen produziert wird. Der Begriff der „Inklusivität“, der Verringerung sozialer und regionaler Ungleichheiten, hat in diesem Kontext in Europa wie in Asien Konjunktur. Mit weniger Wirtschaftswachstum gut leben – das muss in einem reichen Land keine Utopie sein.

Der Autor ist emeritierter Politikwissenschaftler an der FU Berlin. Dort leitete er die Forschungsstelle für Umweltpolitik.

Martin Jänicke

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