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POSITIONEN: Was kein Bluttest klärt

Sollen schwangere Frauen erfahren dürfen, ob ihr Kind behindert ist? Viele fürchten, solche Tests könnten zu einer inhumanen Auslese führen. Aber "Ja zu einem Leben mit Behinderung!" – Das sagt sich oft nur leicht.

Die Ankündigung der Konstanzer Firma LifeCodexx, einen Bluttest zur Feststellung eines Downsyndroms des Embryos bei schwangeren Frauen einzuführen, entfacht seit Wochen einen heftigen Streit. Die Fürsprecher halten das Verfahren, das ohne körperlichen Eingriff den Eltern Klarheit darüber gibt, ob ihr Kind behindert sein wird, für hilfreich. Die Gegner fürchten, der Test öffne der Ablehnung und Aussonderung behinderter Menschen Tür und Tor.

Politiker, Wirtschafts- und Kirchenrepräsentanten könnten das von den Eltern zu Recht verlangte uneingeschränkte „Ja zu einem Leben auch mit Schwerstbehinderung“ erleichtern, wenn sie ihre Appelle mit Taten untermauern würden. Besonders vor Wahlen versprechen Politiker jeder Couleur stets, alles zu tun, damit behinderte Menschen als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft ein Leben frei von Barrieren führen können. Doch leider müssen Gelähmte, Gehörlose, Amputierte, Blinde oder Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Angehörigen um viele Erleichterungen oft hart kämpfen. Und dies, obwohl die Zahl der Menschen mit Behinderung allein durch das Älterwerden größer wird.

Freilich hat die Sensibilität für die Probleme der Behinderten und auch die Bemühung, sie zu lösen, zugenommen – als nämlich auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene Fachleute mit ausreichenden politischen Instrumenten eingesetzt wurden.

Doch Städteplaner, Architekten, Hersteller von Bahnen, Bussen, Telefonen und Haushaltsgeräten müssen immer noch mit Engelsgeduld vom Nutzen der Barrierefreiheit überzeugt werden. Um jedes Gesetz müssen gehandicapte Menschen und ihre Selbsthilfeverbände ringen. Denn ihnen fehlt oft Macht. Selbst der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hubert Hüppe (CDU), Vater eines mehrfach behinderten Sohnes, hat nur selten eine Möglichkeit, bei der Sozialministerin, bei der er offiziell angesiedelt ist, etwas durchzusetzen.

Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen haben über Jahrzehnte um ein Benachteiligungsverbot in der Verfassung, um Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetze gekämpft. Weil diese Errungenschaften die Hindernisse bei ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung wegen der Ignoranz der Verantwortlichen in der Politik, Wirtschaft und Verwaltung nicht entscheidend verringerten, kämpften sie über viele Jahre für eine UN-Konvention, die die Menschen- und Bürgerrechte völkerrechtlich verbindlich ohne Einschränkung auch auf sie zutreffen lässt. Sie gilt seit dem 26. März 2009 auch hierzulande und wird trotzdem nicht konsequent umgesetzt!

So müssen beispielsweise Eltern von Kindern mit Schwerstbehinderung, nicht selten auch von Zwillingen und sogar von Drillingen, um das Geld zum Kauf eines geeigneten Autos geradezu „betteln“. In der nach dem Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 des Grundgesetzes verfassten Gesellschaftsordnung sollten solche Eltern – gleich ob sie mit oder ohne Wissen von der Behinderung Ja zur Geburt dieser Kinder gesagt haben – nicht wegen notwendiger Unterstützung von Behörde zu Behörde, von Versicherung zu Versicherung, von Stiftung zu Stiftung laufen müssen!

Damit kein Missverständnis entsteht: Ich kann durchaus nachvollziehen, wenn eine Frau oder ein Mann nicht glaubt, mit einem schwerstbehinderten Kind fertigwerden zu können. Auch diese Entscheidung sollten wir nicht verdammen.

Der Autor ist blind und arbeitet als Journalist. Mit seiner Frau hat er die Anni-und-Keyvan-Dahesch-Stiftung gegründet.

Keyvan Dahesch

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