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Meinung: Proll ist out

Auch der Ton macht die Politik – vom Sinn der politischen Auseinandersetzung

Was gab es doch für einen Krach um dieses Wort von der Proletarisierung. Gemeint war natürlich nur der Osten. Zu leise gesagt wurde: Im Osten, in der versunkenen DDR, herrschte der Erich Honecker und damit einer, der kein Proletarier war, sondern bloß ein Kleinbürger. Und dass der mit seiner Clique und Claque einer Gesellschaft seine Un-Kultur aufzwang. So ähnlich hat es Katrin Göring-Eckardt gesagt, und die weiß es besser als die Besserwessis.

Aber dieser Krach ist verhallt, davon spricht keiner mehr. Schade, eigentlich, denn wir alle, im ganzen Land, hätten etwas lernen können übereinander, was so kurz vor der Feier von 15 Jahren Einheit auch nicht von Schaden ist. Ob es noch dazu kommt? Diese Auseinandersetzung wäre willkommen.

Der politische Lärm dieser Tage – der ist es nicht. Und keiner schlägt Krach. Das sagt etwas aus über den Verfall der (politischen) Sitten in diesem Land. Übrigens ein Verfall, der eher vom Westen ausgeht, von denen, die gelernt haben zu bolzen und zu holzen, die Schröders, Stieglers, Kauders. Im Grunde genommen zeigt die so genannte politische Klasse, dass das Wort Klasse nur zur Beschreibung einer Form von Zusammengehörigkeit taugt.

Der Umgang miteinander, getränkt von Anspruchsdenken – auf allen Seiten, links wie rechts – ist frappierend. Als hätten wir nicht alle die Anklänge an große staatspolitische Reden im Ohr, dieses Frag-nicht-was-das-Land-für-dichtun-kann und dieses Ich-will- Deutschland-Dienen. Wenn das alles auch nur annähernd ernst gemeint wäre, hier und jetzt könnte sich die Klasse erweisen. Es gibt genug fürs ganze Land zu tun, mit Verlaub.

Sage keiner, hier schwinge zu viel Pathos mit – nein, die Aufrufe, Parteien zu wählen, waren auf die eine und die andere Weise mit Szenarien verbunden, die quasi großkollisionär eines gemeinsam hatten: Schrecken und Erschrecken. Die Union zeichnete ein schwarzes Bild von Deutschland im wirtschaftlichen Abgrund, die Sozialdemokraten den Schatten einer totalen Herrschaft der Ökonomisten. Und das bei einem Wahlkampf der Wahrheiten, den doch irgendwie alle führen wollten.

Wahr ist, dass anfangs eine Vereinfachung, dann eine Proletarisierung, genauer: eine Prollisierung des Wahlkampfs stattgefunden hat. Das ist ein Niveauverlust, der sich nach der Wahl besser nicht fortsetzt. Andernfalls werden über Verbalradikalismen Radikale gestärkt. Aus den „Wölbungen“ in der Politikersprache, wie ein Begriff von Fritz J. Raddatz lautet, muss die Luft herausgelassen werden.

In diesem Fall könnte sich der Bundespräsident, die – nach Roman Herzog – „Integrationsagentur des Staates“, ruhig mal klug mahnend einmischen: gegen ein Vorwärts ohne Inhalt. Das täte der Sache gut. Die Sache der Mehrheit ist und bleibt Reform. Ein Beispiel dieser Tage: Bildung. Untersuchungen sagen, dass wir über einen Mangel an Bildung bei den Jüngeren die Arbeitslosen von morgen produzieren. Dass wir Bildung als Antidosis gegen Verrohung brauchen. Also müssen wir dringend mindestens unser Schulsystem grundlegend prüfen, denn da geht es um Menschen, Würde und Gesellschaft.

Das ist eine große Aufgabe. Die verträgt sich nicht mit Proll-Gehabe. Die braucht Leute, die sich der Sache verschreiben und nicht allem voran ihrem eigenen Fortkommen. Aktuell gesagt: Wer ändern will, muss in Bewegung kommen. Und darf nicht an Ansprüchen oder Stühlen kleben.

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