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Flieger im Anflug. Die Flugrouten für den BBI sind umstritten.

© dapd

Protest der Bürger: Stuttgart 21, Berlin 2012

Berlin ist nicht Stuttgart: Die rot-rote Regierung verteidigt einen Flughafen, den sie in Schönefeld gar nicht wollte. Die oppositionelle Politik tendiert zum Protest gegen einen Flughafen, den sie dort durchgesetzt hat.

Ein Hauch von Stuttgart 21 weht durch den Südwesten Berlins. In zwei Jahren soll bei Schönefeld der Großflughafen eröffnet werden; das Projekt hat Raumordnungsverfahren und Verhandlungen überstanden, es steht vor seiner Vollendung. Doch seit bekannt wurde, auf welchen Routen die Flugzeuge starten und landen, regt sich neuer Protest – gegen die Flugsicherung, die zuständig ist für die Luftkorridore, und gegen die Politik, die sie verschwiegen oder ignoriert hat. Millionen Euro sind für Lärmschutzmaßnahmen in den falschen Orten ausgegeben worden, zehntausende Menschen lebten in trügerischer Ruhe. Mit der ist es vorbei: Dutzende Bürgerinitiativen organisieren sich, einige fordern, wie beim Stuttgarter Bahnhof, einen Baustopp für den Flughafen. Droht dem Regierenden Bürgermeister Wowereit, ähnlich wie Ministerpräsident Mappus mit Stuttgart 21, zur nächsten Wahl eine Art Volksabstimmung über „Berlin 2012“?

Die Geschichte beider Projekte reicht weit zurück, für beide war das Jahr 1995 von Bedeutung. In Stuttgart vereinbarten Bahn, Bund, Land und Stadt vor 15 Jahren Abriss und Neubau; Warnsignale wurden übersehen. Dabei äußerten sich bereits damals bei Umfragen fast die Hälfte aller Befragten skeptisch bis ablehnend. Die Verantwortlichen hätten daraus den Schluss ziehen müssen, für ihr Vorhaben zu werben, was sie aber kaum taten. Das angeblich zu späte Interesse der Bürger ist eine Mappus-Mär, die breite Welle des Protests war absehbar, auch wenn noch vor kurzem nur ein paar Dutzend Demonstranten vor dem Bahnhof aufzogen.

In Berlin war alles anders und ist es noch. 1995 verhinderte eine Allianz aus Naturschützern und CDU-Politikern, dass der Großflughafen im 70 Kilometer entfernten Sperenberg gebaut wird. 22 Millionen Bäume und Sträucher hätten gefällt werden müssen, Amphibien, Reptilien, Libellen und Schwarzstörche wären verdrängt worden. Dem Bundesverkehrsminister Wissmann war ein Flughafen dort zu teuer, dem Regierenden Bürgermeister Diepgen zu weit weg von West-Berlin, der CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky warnte vor Menschenketten an jedem Baum. Vergeblich versuchte die SPD, Sperenberg durchzusetzen. Die damalige Berliner SPD-Spitzenkandidatin Stahmer erklärte, für sie habe „der Schutz von Menschen Vorrang vor Bäumen“, auch Ministerpräsident Stolpe war für Sperenberg. Und die Grünen? Sie traten beherzt für Schönefeld ein, als die umweltfreundlichere und bescheidenere Variante; selbstverständlich versprach deren Verkehrsexperte Cramer den Menschen 2001 im Abgeordnetenhaus, sie nicht zu vergessen. Fortan waren die Bahnverbindungen nach Schönefeld das Thema der Grünen; die Flugrouten waren es nicht.

So stellt sich also die Lage in Berlin ziemlich disparat dar: Die regierende Politik verteidigt einen Flughafen, den sie dort gar nicht wollte. Die oppositionelle Politik tendiert zum Protest gegen einen Flughafen, den sie dort durchgesetzt hat. Für die Bürger ist Lärm oder Nichtlärm je nach Flugroute eine Frage von Teltow oder Mahlow, und die Reinickendorfer freuen sich so oder so auf ihre Ruhe. Schlichten heißt hier spalten. Verbindend aber ist der Ärger und die Wut über eine sture Politik, die verharmlost, verheimlicht und vergisst. Der Protest gegen Stuttgart 21 ist mehr als der Protest gegen ein Bauprojekt. Der Protest gegen Berlin 2012 kann mehr werden.

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