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Meinung: Protestantische Taliban

Kirchentage sind immer auch politisch, doch sind Andersdenkende deshalb Sünder?

Natürlich ist er bunt, vielfältig, politisch. Das waren Kirchentage immer. Protestanten mischen sich halt gerne ein, deutsche zumal. Kein Zeitgeist weht an ihnen vorbei. Rüstung, Kernkraft, Armut, Nahost, Globalisierung, Afrika: Die Themen wechseln, das Engagement bleibt. Darüber zu spotten, ist wenig originell. Auch der Spott über die Kirchentage ist zu einem Teil von ihnen geworden.

Doch in diesem Jahr in Köln stellt sich eine alte Frage mit neuer Dringlichkeit: Ist die Politisierung des Protestantismus nicht auch dessen Talibanisierung? Denn am selben Ort zur selben Zeit tobt ein exemplarischer Streit. Während mehr als eine Million evangelischer Christen über die Bedeutung und Relevanz ihres Glaubens nachdenken, wollen einige tausend Muslime in Köln eine repräsentative Moschee bauen. Gegen das, was im Namen der Religions- und Versammlungsfreiheit selbstverständlich sein sollte, regt sich Widerstand. Im Kern erheben die Gegner den Vorwurf, der Islam sei mehr als eine Religion. Er mache Politik, positioniere sich in weltanschaulichen Dingen. Die Frage des Moscheebaus sei keine Frage der Glaubensfreiheit, sondern eine politische Angelegenheit.

Was kann ein politisierter Protestant, der aus dem Christentum zum Beispiel seine Globalisierungskritik ableitet, dem entgegenhalten? Bedauerlich wenig. Vielleicht deshalb hat die Generalsekretärin des Kirchentages, Ellen Ueberschär, unmittelbar vor dessen Beginn in einem Interview mit dem „Rheinischen Merkur“ auf die Frage nach den Gemeinsamkeiten zwischen Protestanten und Muslimen geantwortet: „Gerade von protestantischer Seite gibt es theologische Ähnlichkeiten mit dem Islam.“ Näher ausgeführt hat sie die These nicht, aber gewisse Analogien drängen sich auf.

Auch Bischof Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der EKD, wirbelt weltanschaulich stets kräftig mit. Jüngst hat er eine „Antwort auf den Klimawandel“ verfasst. Darin heißt es: „In der Verweigerung gegenüber den notwendigen Entscheidungen geht es um das, was in der Sprache des christlichen Glaubens als Sünde bezeichnet wird.“ Das ist starker Tobak, die ganz große rhetorische Keule, die ein Theologe schwingen kann. Demnach wäre etwa Helmut Schmidt, Ex-Bundeskanzler, der die Klimadebatte „reine Hysterie“ nennt, ein Sünder. Wieder einmal. Vor einem Vierteljahrhundert sprach man ihm auf Kirchentagen sein Christsein ab, weil er den Nato-Doppelbeschluss herbeigeführt hatte.

Worum geht es Huber und den Kirchentagsbesuchern – um Gott oder die Globalisierung, um die Kirche oder ums Klima? In dem Maße, wie sie das eine aus dem anderen ableiten, ihre politischen Ansichten direkt durch die Worte der Bibel belegen und all jene verstoßen, die zu politisch konträren Auffassungen gelangen, nähern sich deutsche Protestanten in der Tat dem Bild (oder Zerrbild?) an, das nicht nur radikale Antiislamisten von Muslimen haben. Zwischen dem christlichen Geistlichen, der jeden einer Sünde bezichtigt, der den Klimawandel verharmlost, und dem islamischen Geistlichen, der für die Scharia plädiert, besteht allenfalls noch ein gradueller, kein prinzipieller Unterschied.

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