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Proteste gegen Mubarak: Ägyptens Zukunft – ein steiniger Weg

Es gibt praktisch keine Persönlichkeiten, die in der Schicksalsstunde zwischen den alten Autokraten und der rebellischen Jugend vermitteln könnten. Ägypten hat keinen Nelson Mandela und keinen Vaclav Havel. Den Menschen am Nil steht ein langer und harter Weg bevor.

Unter Ägypten öffnen sich die Pforten zur Hölle. Vor zwei Wochen noch sonniges Ferienziel mit zwölf Millionen Urlaubern im Jahr, verwandelte sich der arabische Musterschüler in punkto Stabilität über Nacht in ein brodelndes Chaos. Das für seine Freundlichkeit berühmte Land der Pharaonen droht in Gewalt und Anarchie zu versinken. Schlagartig macht sich eine seltsam brutale Fremdenfeindlichkeit breit, die noch vor kurzem niemand für möglich gehalten hat. Tagsüber jagen Regimeschläger auf Kairos Straßen junge Oppositionelle und Ausländer. Nachts verbarrikadieren Bürgerwehren ihre Viertel, sogar Polizisten müssen sich vor durchgeladenen Schrotflinten und blanken Schlachtermessern durchsuchen lassen. So sieht es in einem Staat aus, dessen öffentliche Ordnung zusammenbricht.

Und trotzdem klammert sich der greise Hosni Mubarak weiter an seinen Thron. Lieber endet er als Todesengel vom Nil, der alles mit sich in den Abgrund reißt, als dem Druck seines eigenen Volkes weichen. Noch ein letztes Mal, so scheint es, will sich der todkranke 82-Jährige an seinen undankbaren Untertanen rächen, bevor er selbst in sein Grab sinkt.

Freiwillige Aufgabe von Macht ist weder in Ägypten noch in anderen arabischen Staaten Teil der politischen Kultur. Macht wird in dieser Region nicht auf Zeit vergeben, sondern auf Lebenszeit. Politische Eliten richten sich auf Jahrzehnte ein. Mit dem Potentaten verflochtene Personenverbände sichern dessen Macht und dürfen dafür die Pfründe der Nation untereinander aufteilen. Politik ist in erster Linie Loyalitätsfrage und Machtsicherung, nicht Gestaltung des Gemeinwohls. Kompromisse gelten als Schwäche. Berechtigte Interessen der Gegenseite zu berücksichtigen, eigene Machtansprüche zu zügeln, kommt arabischen Potentaten nicht in den Sinn. Wer aufmuckt, wird niedergemacht, aus dem Weg geräumt oder eingesperrt.

Dass ihr jahrzehntelang traktiertes Volk sich eines Tages mit einem Massenaufstand erheben könnte – Mubaraks Getreuen ist das nie in den Sinn gekommen. Im Wechsel setzten sie ihre Schläger in Marsch oder bringen Verschwörungstheorien in Umlauf. Dreißig Jahre Allmachtswahn haben hohe gesellschaftliche Hypotheken aufgetürmt. So gibt es praktisch keine Persönlichkeiten im Land, die in der Schicksalsstunde zwischen den alten Autokraten und der rebellischen Jugend vermitteln könnten. Der Großscheich von Al-Azhar gilt als Büttel des Regimes. Mohamed el Baradei war sein halbes Leben lang nicht vor Ort. Allenfalls Amr Mussa, gewiss kein Volksheld, ist bei der breiten Bevölkerung beliebt. Ägypten hat keinen Nelson Mandela und keinen Vaclav Havel. In Europa moderierten runde Tische den Übergang in ein demokratisches Zeitalter. In Ägypten scheitert ein solches Konsensprojekt wahrscheinlich schon am Einvernehmen über den Ort eines Treffens. Die jahrelang kujonierten Oppositionsparteien sind ein chaotischer Haufen, den momentan nicht mehr zusammenschmiedet als der Ruf nach Mubaraks Rücktritt. Und die gut organisierte Muslimbruderschaft hält sich nach wie vor betont im Hintergrund, weil sie dieses Land mit seinen vertrackten Problemen nicht übernehmen kann und nicht übernehmen will.

Den 80 Millionen Menschen am Nil steht ein langer und harter Weg bevor – vom friedlichen Aufbruch seiner Jugend auf dem Tahrir-Platz hin vielleicht zu einer demokratischen Zukunft für das gesamte Volk.

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