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Meinung: Punkt, Satz, kein Sieg

Tony Blair hat nicht getäuscht – aber er muss noch weiter kämpfen

Die britische Regierung kam glimpflich davon. Niemand weiß besser als Tony Blair, das sein politisches Überleben unausweichlich mit dem Irakkrieg verbunden ist. Der gestrige Bericht des Irakausschusses im Parlament hat ihm da allenfalls eine Atempause verschafft. Kein Wunder also, dass sich Blairs treuer Außenminister Jack Straw an die Devise hielt, Angriff sei die beste Verteidigung ist – vor allem, wenn man die schlechteren Argumente hat. Straw forderte, dass die BBC sich für ihre Behauptung entschuldigen müsse, Blair hätte die Abgeordneten über die Kriegsgründe getäuscht.

Auch Blairs „Spindoctor“ Alastair Campbell hat der 56-Seiten-Bericht vom Vorwurf freigesprochen, einen „unangemessenen Einfluss“ auf das Waffendossier vom September 2002 genommen zu haben. In den vergangenen Wochen war es zum Schaukampf zwischen der ehrwürdigen BBC und der britischen Regierung gekommen: Plötzlich ging es nicht mehr darum, ob Saddam Waffen hat oder nicht, sondern ob Campbell seine Kompetenzen überschritten hatte. Ob BBC-Korrespondent Andrew Gilligan in einem Pub einen dubiosen, anonymen Geheimdienstinformanten getroffen hat, der der Labourregierung schaden will. Und darum, ob die BBC mit ihren Vorwürfen gegen Campbell wirklich behaupten wollte, Blair habe die Briten auf Grundlage von Lügen in den Krieg geführt oder nur Zweifel an seiner übereifrigen Propagandamaschine vortragen wollte.

Dabei gingen die entscheidenden Fragen unter. Denn wirklich wissen wollen auch die Briten, wo Saddams Massenvernichtungswaffen sind. Doch in dieser Frage vertröstet der Ausschuss des Unterhauses, in dem Labour-Abgeordnete die Mehrheit bilden, auf später: „Die Jury berät noch“, hieß es. Immerhin bemerkten die Parlamentarier, dass dies die  Frage von der höchsten Bedeutung ist. Denn es ist das erste Mal, wie der konservative Abgeordnete John Stanley anmerkte, dass die Briten einen Angriffskrieg führten, nicht um Völkermord zu verhindern, nicht um gefährliche Terroristen an Anschlägen zu hindern – sondern ausschließlich auf Grund einer in ihrem Stellenwert umstrittenen Geheimdienstanalyse. Eine ernste Sache also.

Und das wird so bleiben. Wenn Straw gestern hervorhob, die Beweislast gegen Saddam sei „nach dem damaligen Stand der Dinge überwältigend“ gewesen, rückt das die Zweifel am Kriegsgrund noch einmal ins Licht. Reichen Indizienbeweise, Vermutungen  als Kriegsgrund? Das wird die Briten noch beschäftigen, wenn das Gezetere zwischen der BBC und Alastair Campbell schon längst vergessen ist.

Tony Blair, der vermutlich wirklich im besten Glauben handelte, mag darauf bauen, dass die Massenvernichtungswaffen aus den Schlagzeilen verschwinden. Die Entwicklung im Irak, der den Zweiflern zum Trotz in Gang gekommene Nahostprozess, Iran, sogar Bushs Afrika-Initiative lassen den Krieg und seine Akteure schon in neuem Licht erscheinen. Die Zweifel bleiben in Großbritannien dennoch bestehen. Über die Richtigkeit des Irakkriegs, über die Vertrauenswürdigkeit von Tony Blair und damit über seine politische Zukunft entscheidet nicht ein britischer Parlamentsausschuss nach einer Hand voll Anhörungen. Die Jury berät noch.

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