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Meinung: Quoten für alle

Warum SAP gut daran tut, gezielt Autisten einzustellen – und wer dabei verliert.

Spätestens seit „Rain Man“, dem Hollywood-Film mit Dustin Hoffman und Tom Cruise, werden Autisten gerne romantisiert. Die ihnen generalisierend zugeschriebene Kompetenz im Umgang mit Zahlen, die in diesem Film nach Las Vegas führt, wirkt faszinierend und beklemmend, ebenso wie das Mysterium offensichtlich begabter Menschen, die sich nicht mitteilen können und gleichsam in ihrem Ich gefangen sind. Mindestens alle Großstadtneurotiker können mit dem Gefühl des totalen Überfordertsein und der Reizüberflutung viel anfangen. Wer wünscht sich nicht zuweilen eine komplette Sendepause? Dass Autismus keine Marotte, sondern ein vielschichtiges Krankheitsbild ist, geht im öffentlichen Bewusstsein häufig unter.

Nun setzen ausgerechnet die nüchternen Rechner des größten deutschen Softwarekonzerns SAP auf Verstärkung durch Rain Man. Man suche Menschen, „die anders denken“, heißt es zur Begründung. Das Unternehmen wolle in den nächsten Jahren weltweit 650 Autisten als Softwaretester und Programmierer einstellen. Das seien ein Prozent der SAP-Belegschaft, was dem Anteil der Autisten in der Gesamtbevölkerung entspreche.

Es geht also um eine neue Quote: Im Jahr 2017 sollen bei SAP Frauen 25 Prozent der Führungspositionen bekleiden, im Jahr 2020 soll die Belegschaft zu einem Prozent aus Autisten bestehen. Die Liste theoretisch möglicher Quotenvorgaben ist lang: Neben dem Geschlecht oder einer Behinderung, als die man Autismus früher eindeutig gesehen hat, könnten auch die Religion oder erklärte Weltanschauung, das Alter, die ethnische Herkunft oder sexuelle Orientierung als Kriterien dienen. Die Regierungen in Bund und Ländern, die Parteien unterwerfen sich auf ihren Schaltstellen schon längst nicht mehr nur einem Proporz aus Regionen und Strömungen, sondern berücksichtigen solche Merkmale bei der Personalauswahl.

So absurd eine Welt des totalen Proporzes ist: Quoten wirken, sie helfen, Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten wettzumachen. Aber Quoten sollten nicht das Ende einer Entwicklung beschreiben, sondern den Anfang, also den Weg zu mehr Vielfalt ebnen. Wenn SAP mit seinem Modell Erfolg hat, dann wird es im Jahr 2030 keine Quoten für Frauen oder Autisten mehr brauchen, sondern sich diese Gruppen und vor allem aber Vielfalt als Prinzip im Unternehmen etabliert haben. Die Zeiten sind vorbei, als weiße, christlich geprägte, heterosexuelle Durchschnittsmänner automatisch Karriere machten und die anderen nicht. Vermutlich beginnt gerade eine Phase, in der sie es sogar schwerer haben.

Aber die Demografie, die ein Treiber der Quoten in den Unternehmen ist – so werden Personalreservoirs erschlossen –, macht die Gesellschaft mit etwas Glück auf Dauer offener und freier. Denn wenn die Quoten ihren Zweck erfüllt haben, wird es nicht mehr um die Zugehörigkeit zu Gruppen gehen, sondern um Kompetenz und Persönlichkeit. Keine Frage, ganz wird diese Utopie nie Realität. Gleich und Gleich gesellt sich gern. Aber Geschichten wie die von David Karp, dem zappeligen Schulversager, dem Yahoo seine Bloggingplattform abkauft, könnten dann alltäglich werden. Der Mainstream wird zu einem breiten Fluss.

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