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Meinung: Raus Ruck-Rede: Politisches Erbgut

Der Kanzler wird im Auftreten und in seiner Politik immer präsidialer: der Kanzlerpräsident. Das hat die letzte Woche gezeigt.

Der Kanzler wird im Auftreten und in seiner Politik immer präsidialer: der Kanzlerpräsident. Das hat die letzte Woche gezeigt. Damit macht er es einem immer schwerer: dem Bundespräsidenten. Diesen Rollenkonflikt vor Augen ist es nur mäßig pathetisch, zu Beginn dieser Woche festzuhalten, dass sie eine entscheidende für Johannes Rau werden kann. Denn am Ende steht die "Berliner Rede", die zweite des Bundespräsidenten. Sie wird schon deshalb beachtet werden, weil Rau vorher seine Zurückhaltung deutlicher als je aufgegeben hat - indem er ein wirklich existenzielles Thema kritisch ansprach: die Biopolitik.

Das Amt des Bundespräsidenten ist nun zwar keines der direkten operativen Politik, aber es ist eine "Integrationsagentur" fürs Volk. Dieser Begriff stammt von Roman Herzog in seinem Grundgesetzkommentar. Der Präsident soll Integrator sein, Interpret von Standpunkten, Beweger. Mit diesen drei Begriffen hat der vormalige Präsidialamtschef Wilhelm Staudacher die Aufgabe definiert - die Herzog als Präsident vor vier Jahren in seiner erster "Berliner Rede" erfüllte: mit der Ruck-Rede, die zumindest die operative Politik aufrütteln sollte. Das bleibt ein Maßstab.

Rau, der Nachfolger, ist nicht der Mann für Ruck-Reden. Er wird nicht unbekümmert oder respektlos reden, nie fröhlich staatskritisch sein wie der Staatsrechtler Herzog. Raus Reden zeigen auch nicht dessen nahezu majestätischen Eigensinn: "Ich rufe auf zu mehr Entschlossenheit! Ich rufe auf zu mehr Flexibilität. Ich rufe auf zu innerer Erneuerung!" Aber auch Rau, der nicht weniger kritisch denkt, kann bewegen. Auch wenn er strenger, moralhoheitlicher formuliert: "Aber wenn wir nicht die Grundwerte, die im Grundgesetz stehen, zum Gegenstand allgemeiner Achtung machen, bekommen wir eine Generation, die von allem den Preis und von nichts den Wert kennt."

Rau ist dran mit einem Ruck. Offenkundig ist er sich dessen bewusst. Seine Forderung an die operative Politik, über eine verlängerte Amtszeit des Präsidenten nachzudenken, über sieben statt fünf Jahre - für Rau wird das nichts mehr ändern, sondern nur für die Zeit nach ihm. Er selber darf sich nicht vom Amt niederdrücken lassen, sondern muss es prägen in der Zeit, die ihm bleibt. Das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen war politischer, das Amt des Bundespräsidenten kann politischer sein, als Rau bisher in ihm gewirkt hat.

Manches Politische in seinen Reden blieb aber ungerechter Weise ohne Widerhall, zum Beispiel die Rede über den "Glauben in der Wissensgesellschaft" im Oktober 2000 in Paderborn. Da widmete sich der Präsident bereits dem Thema Biopolitik und Gentechnik. Er argumentierte abwägend, rief seinerzeit schon zur Prüfung auf, wie wissenschaftliche Kontrolle und Selbstkontrolle auch unter veränderten Bedingungen funktionieren können; wie sich organisieren lässt, dass Wissenschaft und Forschung nicht nur leistungsfähig sind, sondern verantwortlich mit ihrer Leistung umgehen. Rau sagte mit Luthers Kleinem Katechismus: "Wir sollen Menschen sein und nicht Gott. Das ist die Summe." Darum wird es in seiner Berliner Rede gehen.

Sein rheinisches Preußentum, zusammen mit sozialdemokratischer Gefolgschaft, hat Rau bisher davon abgehalten, sich vom Kanzler einmal richtig klar abzugrenzen. Auch jetzt hat er gezögert: Er will bei Biopolitik und Gentechnik nur ja nicht den Eindruck von Unstimmigkeiten zwischen ihnen beiden entstehen lassen. Obwohl sie bestehen. Raus Meinung zur Forschung an embryonalen Stammzellen und in der Frage von Biopatenten entspricht nicht der des Kanzlers. Sie harmoniert vielmehr mit der Auffassung der skeptischen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Und in ihrer Ansicht wiederum findet sich die Grünen-Expertin Andrea Fischer wieder. Das ist Raus Partei in der Gentechnik.

Morgen wird die Grünen-Fraktion Fischers Vorschläge annehmen. Sie werden ein Dokument der Zurückhaltung sein, der abwägenden Prüfung, getragen auch von religiösen Grundüberzeugungen. Die Situation ist ideal. Das alles entspricht Rau, dem Meister des Sagbaren, dem Repräsentanten des Richtigen. Er kann mit seiner "Berliner Rede" aus dem Schatten des Kanzlerpräsidenten heraustreten. Und einen eigenen werfen.

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