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Rechtsextremismus wird noch immer verharmlost.

© dpa

Zahl der Todesopfer: Rechtsextremismus wird immer noch verharmlost

Die Auseinandersetzung mit rechter Gewalt ist noch immer durch die Erinnerung an NS-Verbrechen geprägt. Das schlechte Gewissen führt zu unangemessenen Verhaltensweisen. Einige Phänomene des Rechtsextremismus werden verdrängt, andere übertrieben.

Von Frank Jansen

Vor 80 Jahren etablierten die Nazis ihre Diktatur. Es folgten Verbrechen, die bis heute unfassbar erscheinen. Die Erinnerung an den monströsen Schrecken prägt immer noch die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Es gibt eine Gedenkkultur, auf die Deutschland stolz sein kann. Aber offenbar führt das mit der Erinnerung verbundene schlechte Gewissen, obwohl die Täter von einst wegsterben, bei den nachfolgenden Generationen auch zu Verhaltensweisen, die unangemessen erscheinen, ja peinlich und falsch. Einige Phänomene des Rechtsextremismus werden in der öffentlichen Wahrnehmung teilweise verdrängt, andere übertrieben.

Verdrängt wird, vor allem in den Sicherheitsbehörden, dass die mörderische Dimension rechter Gewalt in der Bundesrepublik deutlich größer ist, als es die offiziellen Zahlen sagen. Die Recherchen, die der Tagesspiegel seit dem Jahr 2000 betreibt, ergeben eine grauenhafte Summe von mindestens 152 Todesopfern rechter Gewalt. Das sind 152 Menschen, die von Neonazis und anderen rechten Tätern erschossen wurden, verbrannt, erstochen, erschlagen, ertränkt. Die Polizeien der Länder melden „nur“ 63 Tote. Wenigstens wurden ohne längere Bedenkenhuberei die vom NSU ermordeten Menschen, neun Migranten und eine Polizistin, als Todesopfer rechter Gewalt eingestuft. Doch die Neigung, der Diskrepanz zwischen 63 offiziell aufgelisteten Toten und der weit mehr der Realität entsprechenden Zahl von 152 Opfern nachzuspüren, ist in Ministerien und Behörden auch nach dem NSU- Schock beschämend gering.

Auf der anderen Seite stilisieren viele Politiker die NPD zu einer Bedrohung der demokratischen Grundordnung hoch. Obwohl die Partei in den fast 50 Jahren ihrer Existenz nie in der Lage war, auch nur in die Nähe einer Machtergreifung zu gelangen. Glücklicherweise. Ein NPD-Staat wäre ein Horrorszenario. Er wäre ein Abbild des Regimes, das vor 80 Jahren den Marsch in die härtesten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit begann.

Zu Recht verweisen die Befürworter eines Verbots, vor allem die SPD, auf den potenziell barbarischen Charakter der NPD. Und doch erscheint der Ruf nach dem Bundesverfassungsgericht unnötig – und er wirkt seltsam, wenn gerade auch in SPD-Ländern einschlägige Fälle rechts motivierter Morde als unpolitische Delikte abgetan werden.

Die Bundesrepublik ist so stabil, dass die NPD selbst zu Zeiten, als sie in sieben Landtagen saß, nicht auf eine Beteiligung an der Macht hoffen konnte. Ähnlich erging es anderen rechtsextremen Parteien wie der DVU und den „Republikanern“, die hier und da den Sprung in Parlamente schafften. Doch dort finden Rechtsextremisten keinen Anschluss, sie bleiben Parias. Und sie verschwinden dann wieder aus den Landtagen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich die NPD auf unabsehbare Zeit in den Parlamenten von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hält. Die Partei siecht, selbst viele Neonazis nehmen sie nicht mehr ernst. Da erscheint es logisch, dass die FDP einen Verbotsantrag der Bundesregierung verhindert. Auch wenn Vizekanzler Philipp Rösler mit seiner Bemerkung, „Dummheit verbietet man nicht“, am Thema vorbeiredete. So wird Rechtsextremismus banalisiert. Es passt nur leider zur Ignoranz in Teilen der Politik beim Ausmaß tödlicher rechter Gewalt.

Vielleicht ist dennoch ein Prozess des Begreifens in Gang gekommen. Die NSU-Untersuchungsausschüsse in Bundestag und mehreren Landtagen benennen die vielen Versäumnisse und Fehler, die sich der Staat im Fall der Terrorzelle geleistet hat. Da reift bei den Abgeordneten und auch in einigen Behörden und Regierungen die Erkenntnis, der Rechtsextremismus müsse wacher beobachtet und bekämpft werden. Und die Innenminister von Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben, obwohl beide Länder vom NSU verschont blieben, die Prüfung von Altfällen vermeintlich unpolitischer, tödlicher Gewalt eingeleitet. Die Bundesrepublik, so ist zu hoffen, könnte doch lernen, beim Thema Rechtsextremismus weniger zu verdrängen und zu übertreiben. Zeit ist es längst.

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