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Rechtssprechung: Der Fall Torben P.: Hass macht milde

Das milde Urteil gegen den U-Bahnschläger Torben P. begründete der Richter unter anderem mit der "reißerischen" Berichterstattung. Darf es sein, dass ein Straftäter in Watte gepackt wird, weil sich die Öffentlichkeit empört?

„Menschenunwürdig“ hätten die Medien über den Angeklagten geschrieben, eine „schamlose Jagd“. Also, sagt der Richter, sei die Strafe auch wegen der reißerischen Presse zu mildern, obwohl der Angeklagte selbst mit seiner Tat den Anlass gegeben hatte und seine Schuld erwiesen war. Kann das noch gerecht sein? Einen Straftäter in Watte packen, weil sich die Öffentlichkeit empört?

Die Diskussion darum, die im Fall des Anfang vergangener Woche verurteilten U-Bahnschlägers Torben P. geführt wurde – auch er erhielt wegen des „Medienprangers“ eine mildere Strafe – blieb dem verstorbenen Maler Jörg Immendorff erspart, der, schwer erkrankt, dem nahenden Lebensende mit Koks-Partys und Prostituierten entgegenging. Die Richter blieben bei ihm sogar mit elf Monaten unterhalb der gesetzlich vorgesehenen Mindeststrafe, aus gesundheitlichen Gründen, aber eben auch wegen erwähnter „menschenunwürdiger“ Berichte über ihn. Ähnlich die beiden Polizisten Wolfgang Daschner und Ortwin Ennigkeit, denen vor Gericht äußerste Milde widerfuhr. Sie hatten, in bester Absicht, einem Verdächtigen mit Folter gedroht, um einem entführten Kind das Leben zu retten; für die vollendete Nötigung, dazu noch im Amt, gab es Mini-Strafen, auch hier unter anderem wegen der Medienberichte, die sie belastet hätten. Schließlich Jörg Kachelmann: Bei ihm hätten die entblößenden Storys, wäre er verurteilt worden, zu massiver Milderung geführt. Der ihm keineswegs wohlgesonnene Staatsanwalt hatte es ausdrücklich so beantragt.

Je unsachlicher die Berichte, desto milder die Strafe. Muss das so sein? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

In allen Fällen ging es um Angeklagte und die immer wieder schwierige Frage, welche Strafe tat- und schuldangemessen ist und mit welchen Gründen sie schärfer oder milder auszufallen hat. Zu allen Fällen hätte man eine intuitive Meinung, mal Verständnis für Tat und Täter, vielleicht sogar Mitgefühl, dann wieder Abscheu und Empörung. All dies dürfen Richter nicht zum Maßstab ihres Urteils machen. Sie müssen objektive Gründe für ihre Strafzumessung finden. Das heißt vor allem: Sie müssen mit einem Maß messen, nicht mit zwei oder mehr. Eine Tat ist eine Tat, ob Totschlagsversuch oder Koksbesitz, ob der Täter eher jung und gesund war oder alt und krank. Sind Betroffene durch Medienberichte besonders belastet worden, hat das Gericht dies zu würdigen – und wenn man dies nicht mehr akzeptieren möchte, so wäre dazu ein Gesetz zu verabschieden.

Es wäre ein weltfremdes Gesetz. Der Druck durch die Presse und Internet wird stärker. Es gehört zur öffentlichen Aufgabe der Presse, über Strafprozesse zu berichten. Doch ohne Hetze, ohne Jagd, ohne den Impetus, das Urteil mitzubestimmen. Je unsachlicher die Berichte, desto milder die Strafe. Oder andersherum: Gerade Medien, die hohe Strafen fordern, sollten besonders fair berichten. Sonst dürfen sie sich nicht wundern.

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