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Meinung: Regieren geht über Probieren

Schröder ist nicht nach links gerückt, ihm fehlen Prinzipien und der lange Atem

Nun wissen wir es: Koalitionsverhandlungen laufen so ab wie viele sinnlose Konferenzen dieser Erde. Man muss sich die eben erst beendeten Gespräche von SPD und Grünen über die Zukunft des Landes offenbar so vorstellen: Einer ist bei solchen Veranstaltungen immer am Reden (in diesem Falle wohl Hans Eichel), macht Vorschläge (in diesem Falle wohl Sparvorschläge), die anderen dösen vor sich hin, sind mit den Gedanken beim Urlaub in Bangkok oder im Vorgarten in Hannover. Am Ende einigen sich die verträumten Beteiligten auf Beschlüsse, die sie für großen Quatsch halten und bald rückgängig machen müssen.

Wie sonst konnte die Vereinbarung in den Vertrag gelangen, die steuerliche Abzugsfähigkeit für Unternehmensspenden zu streichen? Obwohl die Regierung doch zugleich verspricht, das „bürgerschaftliche Engagement“ zu stärken? Die engagierten Bürger in Vereinen sind angewiesen auf die Spenden der Privatwirtschaft. Die Kultur sowieso. Man könnte sich jetzt freuen über die Einsicht der Regierenden, die den gebauten Mist wenigstens wieder abbaut. Der Fehler aber steigert das Misstrauen in diese Regierung – weil er exemplarisch ist für die Sprunghaftigkeit der Schröderschen Kanzlerschaft. Er nährt die Zweifel an der Konstanz und Verlässlichkeit seiner Politik, an der Halbwertzeit rot-grüner Beschlüsse.

Schon klagen die professionellen Schwarzmaler, das eilig gepackte Sparparket werde bereits jetzt wieder aufgeschnürt. Ja ist denn schon Weihnachten? Da will sich der neue Bauminister Stolpe plötzlich nicht mehr mit der Kürzung bei der Eigenheimzulage abfinden. Auch bei der stärkeren Besteuerung von Aktiengewinnen scheinen einige in der Regierung einzuknicken.

In seiner Regierungserklärung könnte Schröder heute in diesen Fragen Klarheit schaffen. Genug gesagt hätte er damit jedoch noch nicht. Der flexible Wechsel von Positionen, die pragmatische Spontaneität, mit der das Regieren zum Reagieren auf neue Ereignisse umdefiniert wird, macht Schröders Regierungsstil aus. Und in Krisen wie der Sommerflut taugt der leitgedankenfreie Kanzlerkurs sogar als Erfolgsrezept. Aber ohne Prinzipien, ohne Konzept, ohne langen Atem wird diese Regierung nicht schaffen, was verlangt wird: das Ende der Wirtschaftsflaute, den Abbau der Arbeitslosigkeit, die Sanierung der Sozialversicherungen. Zu groß sind diese Aufgaben für kleine Ideen mit noch kleinerer Halbwertzeit. Das im Kanzleramt ausgerechnet die Grundsatzabteilung geschlossen wurde, ist da nur eine Pointe am Rande.

Auch dem Versuch, die höheren Steuern und Abgaben für Besserverdiener als Rückkehr zum Gerechtigkeitsideal der Sozialdemokratie zu feiern, liegt kein ideologisch begründeter Wechsel von Überzeugungen zugrunde. Schröders Herz schlägt keinen Millimeter weiter links. Es ist genau der selbe Pragmatismus, mit dem er vor nicht einmal vier Jahren die SPD weg von Oskar Lafontaine gezwungen hat, der sie heute zurück in die Arme der Gewerkschaften treibt.

Im Aufschwung wirkte es überzeugend, dass der Kanzler scheinbar spontan die Greencard einführte. Handwerkliche Ungenauigkeiten der Steuerreform wurden gar in einen wirtschaftsfreundlichen Kurs und das Ende der Deutschland AG umgedeutet. Versuche des Kanzleramtes, diesen Pragmatismus mit einer Regierungsidee zu unterlegen, blieben blass. Das Schröder-Blair-Papier etwa wurde viel gelobt und schnell vergessen. Das Ad-Hoc-Regierungsprinzip funktionierte auch ohne Fundament. Genau so wenig aber hat die jetzige Wende etwas mit einer neuen und dauerhaften Linksruck zu tun. Diesmal gibt man der Sache halt das Etikett Gerechtigkeit. Und begnügt sich wieder mit dem Etikett – statt sich an ein Prinzip zu wagen.

Markus Feldenkirchen

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