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Meinung: Reue kommt vor dem Fall

Einen Eklat über das deutsche Defizit können sich Brüssel und Berlin nicht leisten

Wenn es nur so wäre, dass jetzt die Messen für einen unsinnigen Vertrag gesungen würden, dann wäre es ja gut. Dann würden die Finanzminister der Euroländer heute erleichtert aufatmen, weil auch der einstige Musterschüler Deutschland einsieht, dass die in Maastricht vereinbarten Regeln für die Neuverschuldung von Staaten nicht funktionieren. Dann würden sie sich hinsetzen und einen besseren Vertrag machen. Einen, der die Stabilität der gemeinsamen Währung garantiert – und gleichzeitig dafür sorgt, dass niemand gezwungen würde, in der Rezession mehr zu sparen als er kann.

Sie würden einen neuen Kontrakt finden, der allen gerecht würde: den schwerfälligen großen Volkswirtschaften des Euroraums genau so wie den jungen, kleinen und schnell wachsenden Ländern Osteuropas, die Aufnahmebedingungen für die Gemeinschaftswährung längst erfüllen.

Nur dass es einen solchen Vertrag nicht geben kann. Erstens, weil es eine Formel, die allen wohl und niemandem weh tut, in der Geldpolitik nicht gibt. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen, wie die Gemeinschaftswährung vor der Plünderung durch Einzelne geschützt werden kann. Zweitens, weil es den Politikern heute nicht mehr gelingen würde, einen einstimmigen Beschluss hinzubekommen – schließlich will niemand noch mehr Rechte in der Wirtschafts- und Finanzpolitik an Europa abtreten. Drittens, weil Europa zurzeit weder eine Idee für ein neues Währungsregime noch eine Führungscrew zur Durchsetzung hat.

Sicher, im Augenblick sind weder die Tragweite noch die Dramatik der Situation deutlich zu sehen. Die Staats- und Regierungschefs haben anderes im Kopf als Währungsfragen. Der Euro ist stärker denn je, ein bisschen unsolidere Haushaltspolitik und ein wenig Inflation könnten da überhaupt nicht schaden, finden sie. Und außerdem habe der Euro seit seiner Einführung international an Stärke gewonnen, nicht verloren.

Das ist alles richtig – nur dass niemand darauf bauen kann, dass das so bleibt. Bisher haben sich alle an den Vertrag gehalten oder sie haben die Auflagen der EU-Kommission akzeptiert. Außerdem war das Misstrauen in den ersten Jahren der Union auf die Europäische Zentralbank gerichtet. Dort befürchtete man das Fehlen der rechten Stabilitätskultur und nicht in den Regierungszentralen - zu Unrecht, wie sich heute zeigt. Und, selbst wenn der Vertrag von Maastricht blödsinnig wäre: Wirtschaftlich erfolgreich waren mit Finnland, Irland und den Niederlanden in der Vergangenheit die Länder der Eurozone, die ihre Neuverschuldung rigoros nach unten gefahren haben.

Trotzdem ist der Euro nicht stark, weil die Europäer ein Erfolgsmodell für ihre Geld-, Wirtschafts-, und Finanzpolitik gefunden haben. Er ist stark, weil der Dollar im Augenblick schwach ist. Das kann sich ändern – und mit dem Außenwert einer Währung darf keiner eine unsolide Haushaltspolitik begründen.

Deshalb kann der Stoff, aus dem die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und der EU-Kommission ist, zum Zerfall einer jungen Währung führen. Deshalb ist der Vertrag von Maastricht – bei all seiner Kurzsichtigkeit, seiner Inkonsequenz – ohne Alternative. Und deshalb muss es an diesem Montag einen Kompromiss geben zwischen dem Defizitsünder Deutschland und der Kommission. Einen Eklat kann und darf sich keine der beiden Seiten leisten. Dann nämlich ist der Konflikt zwischen Deutschland und der EU-Kommission der Anfang des Zerfalls einer jungen Währung.

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