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Die Bundeswehr soll bei „Ereignissen katastrophischer Dimensionen“ im Inland eingesetzt werden dürfen.

© dapd

Richterspruch aus Karlsruhe: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist keine Katastrophe

Immer war die Bundeswehr ein politischer Topos, über den sich die Nation entzweien konnte. Doch nach dem ungewöhnliche Richterspruch aus Karlsruhe bleiben die Spielräume der Politik erhalten, wie sie waren. Deshalb ist er keine Katastrophe.

Es wird viel von einer Katastrophe die Rede sein, wenn jetzt vom jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gesprochen wird. Er öffne das Land für militärische Gewalt im Innern, er vermenge die Aufgaben von Polizei und Armee, er breche mit dem gesunden Antimilitarismus der Nachkriegsrepublik; mit seiner merkwürdigen Formel von „Ereignissen katastrophischer Dimensionen“, auf die der Streitkräfteeinsatz begrenzt sein soll, gebe er einen Marschbefehl in ungewisse Richtung.

Hinter all dieser Kritik stecken berechtigte Anliegen, vornehmlich politischer Art. Und doch ist der ungewöhnliche Spruch aus Karlsruhe keine Katastrophe, weder politisch noch verfassungsrechtlich. Er ermächtigt zu nichts und bedroht niemanden; keine Partei wird ihn zu ihren Gunsten wenden können.

So weit, so friedlich. Aber es stimmt, seit ihrer Gründung kämpft die Bundesrepublik heftiger mit ihren Streitkräften als diese mit ihren äußeren Feinden. Erst die Wiederbewaffnung, dann die Notstandsverfassung, schließlich Auslandseinsätze und die Bedrohung durch internationalen Terrorismus. Immer war die Bundeswehr ein politischer Topos, über den sich die Nation entzweien konnte.

Bewältigt wurde all dies entweder mit Verfassungsänderungen oder umstrittenen Gesetzen, die sich an ihnen messen lassen mussten. Herausgekommen ist eine Gemengelage, aus der die behauptete Totalabsage an inländische Militärgewalt jenseits eines inneren Notstands nur schwer herauszulesen ist. Das ist die aktuelle Botschaft des Gerichts, und es ist eine andere, als sie der Erste Karlsruher Senat noch 2006 im Urteil über das Luftsicherheitsgesetz ausgesandt hatte.

Es handelt sich damit nicht um einen Tabubruch, sondern um einen Kompromiss im Streit um Rechtsansichten. Das Ergebnis ist weit davon entfernt, der Union zu geben, was sie immer wollte, den legalen und geregelten Streitkräfteeinsatz im Innern. Indem das Gericht den Einsatz an die Zustimmung der Regierung als Kollektiv bindet, scheidet es Eilfälle aus, den Schlag gegen aufrührerische Demonstranten ebenso. Das verfassungsrechtlich zulässige militärische Potenzial bleibt also höchst abstrakt, um nicht zu sagen: praktisch unbrauchbar.

Es wäre grundfalsch, den Richterspruch nun in eine politische Handlungsanweisung umzudeuten. Die Grenze, die das Gericht zwischen Polizei- und Militäraufgaben 2006 gezogen hat, bleibt zwar nicht in ihrer Schärfe, aber in ihrer Stabilität erhalten. Am Prinzip, dass die Bundeswehr nur in Ausnahmefällen und dann vor allem als Helfer und Dienstleister eingreifen darf, wird nicht gerüttelt. Im Beschluss steckt kein Appell, daran etwas zu ändern. Ein politisches Motiv ist ihm nicht zu entnehmen – eher schon dem Urteil 2006, das es gezielt darauf angelegt hatte, einem überhitzen Antiterrorgesetzgeber das Mütchen zu kühlen.

Die Spielräume der Politik bleiben erhalten, wie sie waren. Das bedeutet: Für einen weitergehenden sinnvollen Einsatz der Bundeswehr wäre eine Änderung des Grundgesetzes nötig. Dafür fehlt nicht nur eine politische Mehrheit, sondern auch der tatsächliche Bedarf; bisher ist das Land mit den Restriktionen für seine Streitkräfte gut gefahren. Internationale Verpflichtungen wurden erfüllt. Dass die Deutschen ihre Soldaten endlich mal anfangen zu lieben, wird man ihnen auch mit Verfassungsartikeln nicht vorschreiben können. Das ist richtig so, denn ein System, das als symbolischen Akt einen Oberst Georg Klein zum General befördert, hat eine gewisse Skepsis verdient.

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