zum Hauptinhalt

Rücktritte in der Politik: Neue Formen der Eleganz

In der Politik wie im wirklichen Leben gibt es nur wenige Momente, in denen einer etwas endgültig verpatzen kann. Nur ein Anlass lässt niemals Nachbessern zu: der Rücktritt.

Von Robert Birnbaum

In der Politik wie im wirklichen Leben gibt es nur wenige Momente, in denen einer etwas endgültig verpatzen kann. Eine maue Parteitagsrede – nicht schlimm, wenn man nicht gerade Rudolf Scharping hieß. Ein gescheiterter Vorstoß – egal, morgen kommt eine neue Idee. Ein Verhaspeln beim Ministereid – tags darauf vergessen. Nur ein Anlass lässt niemals Nachbessern zu: der Rücktritt.

Falls das einer für banal, weil selbstverständlich hält, hat er ja recht. Nur zeigt die Praxis: Selbstverständlich ist es nicht. Viel zu häufig wird der Politiker vom eigenen Rücktritt überrascht. Es gab keine Vorbereitung für den Tag X, kein Planspiel Was-wäre-Wenn, nichts von der sorgsamen Vorbereitung, die unsere Spitzenklasse noch dem billigsten Talkshowauftritt widmet, von den kostspieligen mit Panzer in der Kulisse zu schweigen. Das letzte Bild im Amt – wie oft wirkt es hastig improvisiert, unwillig, würdelos!

Nun liefert die Geschichte nur wenige Vorbilder für die gelungene Demission. Nicht jeder mag Gaius Julius Caesar folgen, der sehenden Auges unter die Verschwörer trat und sein Leben opferte, wissend, dass er so und nur so für die Nachwelt unsterblich wird. Besser in die post-heroische Gesellschaft passt da August III. von Sachsen, der dem revoluzzenden Arbeiter- und Soldatenrat 1918 ein erleichtert-trotziges „Nu, macht doch eur’n Dreck alleene!“ entgegenbrummte. Getreu kopiert hat diesen frühen Pionier sein später Ersatzbürgerkönigsnachfahr. Nur dass Horst Köhler vom Blatt ablas („ ... mit sofortiger Wirkung“), hat dem an sich eleganten Akt viel von seiner Wirkung genommen – ein lehrreiches Beispiel dafür, wie sehr es beim Rücktritt auf Kleinigkeiten ankommt. Andere folgten dem August’schen Muster mit Variation: Ole von Beust verkündete „Alles hat seine Zeit“, bevor er aufatmend ins Privatleben entschwand; Roland Koch versicherte mit einer Träne im Auge, Politik sei nur ein, wenn auch wichtiger Teil seines Lebens, bevor er sich mangels vernehmbarer Rufe nach Berlin in die Wirtschaft verabschiedete. Christian Wulff und Peter Müller wiederum wählten den Sidestep, der eine ins höchste Staatsamt, der andere bald ans höchste Gericht. Diese Sonderform des geordneten Rückzugs kommt in Mode. Kaum ein Ministerpräsident, der noch nach alter Stoiber-Sitte am Sessel klebt, bis ihn Wähler oder Parteifreunde mit Gewalt losreißen.

Anhänger althergebrachter Politik-Modelle mögen über diese Fluchten mäkeln. Aber erstens ersparen sie uns viele peinliche Momente, zweitens sind sie Folge der modernen Zeiten. Wenn einer mit Ende 30 Spitzenpolitiker werden kann, hat sich das Publikum mit Anfang 50 eben an ihm satt gesehen. Wer sich vorm Fernseher das Wegzappen oller Kamellen angewöhnt hat, macht es als Wähler nicht grundlegend anders. Der Politiker von heute weiß das. Um so unverzeihlicher, wenn er den richtigen Abgang verpasst. Sicher, man kann nicht mehr so nonchalant wie einst Hans-Dietrich Genscher scheiden: Der gab seinen Rückzug vom Außenamt mittags per Fax in alle Redaktionen bekannt, versah die Mitteilung aber mit einer Sendesperrfrist für den Nachmittag – und durfte sicher sein, dass sich alle daran hielten. Unsere Zeit erfordert andere Formen der Eleganz. Aber wenn einer ein ganzes Politikerleben lang auf diesen einen Moment hingearbeitet hat, dürfen wir Phantasie und Perfektion verlangen. Also wirklich, Guido Westerwelle! Bitte, Horst Seehofer! Enttäuschen Sie uns nicht!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false