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Meinung: Ruhige Reflexe

Von Antje Sirleschtov

Wer mit Eiern beworfen wird, der duckt sich weg. Das ist erst einmal eine ganz menschliche Reaktion. Niemand steht gern mit bekleckertem Kragen in der Öffentlichkeit rum. So viel also ist sicher, nach diesem Sommer der heißen Montagsproteste: Die natürlichen Reflexe der SPD funktionieren noch. Am Wochenende wurde beschlossen, beim Reformieren der Sozialsysteme vorerst einen Gang herunterzuschalten. Zumindest im nächsten und übernächsten Jahr. Und damit wohl endgültig, denn im Herbst 2006 wird eine neue Regierung gewählt. Für Zahnkronen werden die Versicherten keine Zusatzpolicen abschließen müssen. Und die grundlegende Reform des Gesundheitssystems wird ganz weit nach hinten verschoben. Inkonsequent ist beides, zumindest aber die Verschiebung der zusätzlichen Zahnersatzversicherung. Und schädlich obendrein. Denn mit dem Zahnersatz sind rund 0,4 Prozentpunkte verbunden, um die jetzt der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung auf jeden Fall nicht mehr sinken kann. Stagnierende statt sinkende Arbeitskosten sind die Folge. Das wirft die Frage auf, warum die SPD den Menschen noch vor einem Jahr erklärt hat, dass neue Jobs nur entstehen können, wenn auch die Kassenbeiträge sinken. Gilt dieses AgendaArgument auf einmal nicht mehr?

Womit wir bei der zweiten Folge des Wegduckens in Sachen Zahnersatz sind, nämlich der politischen. Aus Sicht der SPD ist es zu verstehen, wenn sie erst einmal sicherstellt, dass Rentner und Kleinverdiener im Januar nicht über Zusatzlasten klagen, wenn den Langzeitarbeitslosen erstmals die niedrigeren Hartz-Pauschalen überwiesen werden. Der Zweifrontenkrieg ist damit abgewendet. Sozialverbände wird das befrieden, die Gewerkschaften sind sowieso mit einer ziellosen Debatte um den Mindestlohn beschäftigt. Und der Dauerstreit in der Union um deren Prämienkonzept zur Reform des Gesundheitswesens wird darüber hinwegtäuschen, dass auch die Pläne der SPD alles andere als gehaltvoll sind. Der SPD allerdings wird das aus dem Stimmungstief kaum heraushelfen. Denn die Botschaft, nach der das Land einer dringenden Renovierung bedarf, haben die Menschen mittlerweile nicht nur verstanden. Sie haben auch eingesehen, dass dieser Prozess nicht ohne schmerzliche Erfahrungen für sie selbst bleiben wird. Und wem die Genesung nach einer unangenehmen Operation versprochen wurde, der zuckt nicht beim ersten Blutstropfen zurück. Auch das ist eine ganz menschliche Reaktion.

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