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Meinung: Runter von den Barrikaden

Polen hat in der EU Standfestigkeit bewiesen – nun muss es aber auch mitgestalten / Von Janusz Reiter

Man muss die polnische Europapolitik der letzten Monate nicht für richtig halten. Verstehen sollte man sie trotzdem. Nicht nur aus intellektueller Neugier, sondern vor allem, weil man ja mit ihr zu tun haben wird. Zwei Umstände muss man dabei beachten.

Erstens herrscht in Polen die Überzeugung, dass aus der alten EU ein Wind des nationalen Egoismus weht. Ein Beispiel: der deutsche Umgang mit dem Stabilitätspakt, aber auch „patriotische" Töne in der Wirtschaftspolitik. In einem Land, in dem die größten Unternehmen und Finanzinstitute an ausländische, vorwiegend deutsche und französische Investoren verkauft wurden oder werden, hört man mit Verwunderung Stimmen, die vor einer Übernahme deutscher Firmen durch ausländische Investoren warnen. Auch die französischdeutschen Abstimmungen der letzten Monate werden in Polen eher als eine Summe von zwei nationalen Politiken denn als ein Ausdruck des europäischen Geistes empfunden.

Zweitens gibt es in Polen Politiker, die meinen, dass die Verteidigung der Nizzaer Beschlüsse nicht nur sachlich begründet sei, sondern auch noch einen zusätzlichen Reiz habe. Durch den harten Kurs gerade gegenüber Frankreich und Deutschland könne man das Selbstvertrauen der Polen vor dem EU-Beitritt festigen. Sie sollen die Gewissheit haben, dass die politischen Eliten die Interessen des Landes gut vertreten.

Nehmen wir also an, dass die Politiker, egal ob mit richtigen oder falschen Methoden, das Vertrauen der Menschen gewinnen wollen. Nehmen wir weiter an, dass sie durch den harten Kurs während der Regierungskonferenz einen Vertrauensvorschuss bekommen haben. Jetzt müssen sie deutlich machen, wofür sie ihn nutzen wollen. Jetzt ist die Zeit dafür, eine europapolitische Offensive zu starten. Polen muss seine Partner überzeugen, dass es nicht nur blockieren, sondern auch gestalten kann. Das beginnende Jahr bietet mehrere Chancen dafür.

Erstens sollte sich Polen an der Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) beteiligen. Sicherlich sind die militärischen Kapazitäten des Landes begrenzt. Trotzdem könnte Polen für die drei führenden europäischen Mächte Großbritannien, Deutschland und Frankreich ein wertvoller Partner sein. Die ESVP sollte nicht nur eine Sache der alten EU-Länder sein, und unter den neuen ist Polen ohne Zweifel das sicherheitspolitisch bedeutendste. Auch die geopolitische Lage an der Ostgrenze der Union macht Polen zu einem attraktiven Partner. Und schließlich ist es ein Land, dessen Öffentlichkeit die Anwendung militärischer Macht in der internationalen Politik ohne Begeisterung, aber bewusst akzeptiert. Nachdem auch Großbritannien seine Bedenken überwunden und sich mit Deutschland und Frankreich auf die Grundsätze der ESVP geeinigt hat, können selbst die größten Skeptiker darauf vertrauen, dass es keine Intrige gegen die Nato und Amerika ist.

Zweitens hat Polen ein natürliches Interesse an der Entwicklung Europas als Sicherheitsraum. Sowohl für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität als auch für die Verteidigung gegen den Terrorismus und nicht zuletzt für eine europäische Migrationspolitik ist Polen ein wichtiger Partner. Es liegt näher an den Regionen, von denen Sicherheitsrisiken für Europa ausgehen. Auch die kleine Kriminalität, zum Beispiel in den Grenzgebieten, kann durch ein koordiniertes Vorgehen besser bekämpft werden. Sollte dadurch das Sicherheitsgefühl in den alten wie in den neuen EU-Ländern gestärkt werden, so wäre das ein überzeugendes Signal an die Menschen, dass die EU-Erweiterung nicht nur historisch, sondern auch ganz praktisch richtig war.

Drittens könnte Polen versuchen, sich an den Reformen der Europäischen Union zu beteiligen. Das betrifft auch die Landwirtschaftspolitik, wo Polen vor der Wahl steht, ob es die Besitzstände anderer bewahren will, in der Hoffnung, an ihnen irgendwann beteiligt zu werden oder aber eine Reform unterstützt, die Europa finanziell entlastet und dadurch eine Rationalisierung des Haushalts möglich macht. Mehr noch, Polen muss auch überlegen, ob es nicht die Länder unterstützen sollte, die eine Reduzierung ihrer Haushaltsbeiträge anstreben. Dadurch könnte die europäische Finanzpolitik wieder der Solidarität mit den ärmsten Mitgliedern dienen und nicht der Umverteilung der Gelder unter den mehr oder weniger wohlhabenden Ländern. Auf diese Weise könnte Polen interessante Interessenkoalitionen bilden.

Und was ist mit Nizza? Es hat wenig Sinn, auf eine schnelle Lösung dieser Frage zu drängen. Was wir brauchen, ist Vertrauen. Und dieses lässt sich nur durch gute Zusammenarbeit herstellen. Wenn das gelingt, wird eines Tages, möglicherweise in diesem Jahr, die europäische Verfassung doch noch ihre Chance bekommen.

Der Verfasser ist ehemaliger polnischer Botschafter in Deutschland und Präsident des unabhängigen Zentrums für internationale Beziehungen in Warschau. Foto: Vario-Press

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