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Russland und die Nato: Bedingt aufnahmebereit

Das Thema ist nicht neu, aber die Tagung der Nato-Außenminister in Brüssel hat es wieder ganz nach oben gewirbelt: Wie halten wir es mit Russland? Berlin und Washington haben eine jeweils eigene Antwort.

Anlass war die Debatte über den Zeithorizont bei Aufnahmegesprächen mit der Ukraine und Georgien. Die USA drängten zu einem schnellen, gegenüber den bisherigen Planungen abgekürzten Verfahren, die Deutschen wollten die strittigen Fragen Punkt für Punkt sorgfältig, man könnte auch sagen: Zeit gewinnend, abarbeiten. So kam es dann auch.

Der Stil des Umgangs der Amerikaner, Engländer und der mittelosteuropäischen Bündnisstaaten mit Russland unterscheidet sich ganz grundsätzlich vom Vorgehen vor allem der Deutschen bei Kontakten mit den machtpolitischen Erben der Sowjetunion. In Washington (und London, Warschau, Prag, Riga und Tallinn) geht man davon aus, dass die russische Politik in ihrer Zielsetzung eher aggressiv ist und deshalb vorsorgliche Eindämmung das geeignete Verfahren. Bush praktiziert den guten alten Lenin’schen Satz, wonach Vertrauen gut, Kontrolle aber besser sei. Die deutsche Regierung hingegen glaubt zumindest partiell an das Gute oder zumindest besserbare im Menschen und setzt im Dialog mit Moskau auf Vertrauen vor Kontrolle, also auf vertrauensbildende Maßnahmen, die zu plakativen Leitbildern wie „Wandel durch Handel“ führen.

Kompliziert wird die Bewertung beider Methoden, weil jede Seite gute Gründe für ihre Einschätzung anführen kann. Für die Amerikaner hat das Hochrüstungsprogramm der Ära Reagan den entscheidenden Beitrag zum ökonomischen Zusammenbruch der UdSSR geleistet. In Washington sieht man die Hinwendung des gesamten früheren Ostblocks zu westlichen Wertesystemen als den durchschlagenden Erfolg der eigenen klaren Linie und Russlands Eingreifen in Georgien als neuerliches Indiz für dessen anhaltende, imperialistische Tendenzen.

Das wird in Deutschland kaum jemand bestreiten. Aber hier gilt als eine der Initialzündungen für den Zusammenbruch des Kommunismus die Bahr’sche Ostpolitik mit ihrem „Wandel durch Annäherung“, gepaart mit den Ergebnissen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenbruch in Europa, auf die sich sämtliche mittelosteuropäischen Bürgerbewegungen letztlich erfolgreich beriefen. Von der Ära Brandt bis hin zu Angela Merkel dominierte immer das Bestreben, Russland in der Völkergemeinschaft zu halten, nicht, es auszugrenzen. Die unmittelbare geografische Nähe und die deutsche Teilung spielten dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat erst unlängst im Gespräch mit Egon Bahr erinnert, wie er im Stillen den Abbau atomar bestückter Minen von der Grenze zur DDR erreichte – Minen, die als Teil der Nato-Strategie vorgesehen waren.

Was folgt aus alledem? Völlig unstrittig darf Russland nicht darüber entscheiden, welche seiner westlichen und südlichen Nachbarn Mitglied der Nato werden möchten. Dieses Votum bleibt ausschließlich den betroffenen Staaten vorbehalten. Ob die Nato deren Beitrittswunsch zustimmt, ist wiederum nur ihre Sache. Freilich wird sie wohlverstandene russische Bedenken in ihr Kalkül einbeziehen müssen, wenn sie sich nicht leichtfertig in eine neue Blockkonfrontation stürzen will. Der von Moskau historisch als Gegner empfundene Nordatlantikpakt hat sich in den letzten zehn Jahren weit nach Osten ausgedehnt. Dass dies in Russland Unbehagen hervorruft, ist verständlich. Letztlich aber löst der Kreml selbst durch sein Verhalten gegenüber den Nachbarn eine mögliche weitere Expansion der Nato aus. Solange sich Länder wie Georgien oder die Ukraine von Russland bedroht fühlen, werden sie den Schutz des Westens suchen.

Entscheidender als das formale Procedere im Gespräch mit diesen beiden ist deren faktisches Verhalten. Sie können Mitglieder des Bündnisses werden, wenn sie durch demokratisch legitimierte Regierungen repräsentiert werden, keine territorialen Streitigkeiten mit anderen Ländern haben und von einer gewaltsamen Lösung von Konflikten absehen. Zumindest im Falle Georgien musste man das bislang noch bezweifeln.

Gerd Appenzeller

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