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S-Bahn-Chaos: Die toten Gleise von Berlin

Die S-Bahn hat vor sich selbst kapituliert. Ganze Strecken wurden vom Netz genommen, Taktzeiten nochmals ausgedünnt. Und die Politik der Stadt kultiviert ihren Fatalismus und nimmt es hin, sich verhöhnen zu lassen.

Dieser Montag war nicht irgendein Tag für Berlin. Es war der erste Werktag im neuen Jahr, es war der erste Schultag nach Weihnachten, es war der erste politische Tag des Jahres, in dem ein neues Landesparlament gewählt wird. Und es war der Tag, an dem so wenige S-Bahn-Züge wie kaum je zuvor unterwegs sein sollten. Ganze Strecken waren vom Netz genommen, die Taktzeiten noch einmal ausgedünnt worden, der Notfahrplan wurde kassiert und durch einen „Not-Notfahrplan“ ersetzt, für ein, zwei oder drei Wochen, jedenfalls, wie es so unschön heißt, bis auf Weiteres. Die S-Bahn, eine der Hauptschlagadern Berlins, hatte vor sich selbst kapituliert.

Und die Politik dieser Stadt, der Hauptstadt Deutschlands, Touristenmagnet, Millionenmetropole? Sie kapitulierte gleich mit, vor schlechten Verträgen, die sie selbst verhandelt hat, vor technischen Problemen, die sie nicht versteht, vor der Bahn, deren Entscheidungswege ihr zu verschlungen sind, vor der Bundesregierung, deren unzuständige Zuständigkeit sie irritiert. Sie haben geprüft, gedroht, geschmeichelt und gefordert, die Senatoren und Bürgermeister, die Verkehrsexperten der Fraktionen, die Sprecher der Oppositionsparteien, immer wieder, seit die Notfahrpläne zum Normalzustand wurden. Sie ließen sich vertrösten, glaubten noch im Oktober an die Versicherung der S-Bahn: alles bestens, genug Leute im Einsatz, die Werkstätten vorbereitet. Eine Lüge, die hunderttausenden Menschen jetzt eiskalt die Beine hochzieht.

Aber was passiert? Die Berliner Politik kultiviert ihren Fatalismus, und sie nimmt es hin, verhöhnt zu werden. Dass der „Not-Notfahrplan bis auf Weiteres stabil“ ist, wird zu einer guten Nachricht verklärt, und dass die U-Bahn ausgerechnet jetzt und ausgerechnet dort einen Pendelverkehr einrichtet, wo die S-Bahn mit ihrem Not-Notfahrplan schon gar nicht mehr fährt, geht unter im Ärger um die Preiserhöhung: zehn Prozent mehr für den Einzelfahrschein, das Einzige, was hier pünktlich kommt. Mit einem murmeltierhaften Schnauferl fordert der Regierende Bürgermeister wieder einmal Schadensersatz für die S-Bahn-Kunden, immerhin, und die Verkehrssenatorin erbittet, auch wieder einmal, ergeben drohend ultimativ ein Konzept; der Rest ist Schweigen. Und so blicken alle gemeinsam mit traurigen Augen auf die toten Gleise von Berlin.

Wo war eigentlich gestern früh Frank Henkel, designierter CDU-Spitzenkandidat, was hat er gemacht am Tag, als die Menschen vor ihrer kapitulierenden S-Bahn kapitulierten? Wo Harald Wolf, Spitzenkandidat der Linken? Christoph Meyer, FDP? Renate Künast?

Renate Künast, Herausforderin von Klaus Wowereit, macht Urlaub, weit weg, so weit weg, dass sie nicht einmal mit ultramodernen Kommunikationsmethoden wie einem Telefon Kontakt aufnehmen konnte mit der Stadt, der sie ein Verkehrskonzept verordnen will, das voll auf den gerade kollabierenden Öffentlichen Personennahverkehr setzt.

Sicher, das ist ungerecht, Urlaub muss sein, ein Auftritt um 5 Uhr früh auf einem Bahnhof ohne Zug nach Nirgendwo ist Symbolpolitik, das Land Berlin ohnehin nicht verantwortlich für die S-Bahn, sondern auch nur Kunde. Aber die Berliner Politik, die ist verantwortlich für die Leute, die hier leben, und Politik ohne Symbole: Das funktioniert so wenig wie Bahnunternehmen ohne Züge. Wenn es schon kein Gesicht des Bösen gibt in diesem absichtsvollen Wirrwarr von Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Abhängigkeiten, warum übernimmt dann nicht wenigstens einer die Rolle des Guten? Jemand, der sich nicht grummelnd abfindet, sondern kämpft gegen die Flut der Unzulänglichkeit, zur Not auch auf den Anzeigetafeln mit dem Not-Notfahrplan, jemand, der die Grubes, Ramsauers und Merkels aus ihrer gewinnabführenden Märklinwelt holt, der die Wahrnehmungslücke schließt zwischen der großen, weiten Politikerwelt in dieser Hauptstadt und der kleinen, mühsamen, alltäglichen, zum Verzweifeln schicksalsergebenen Bürgerwelt. Ja, so jemand würde hier bestimmt gewählt.

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