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Sarrazins Thesen: Verquaste Theorie

Thilo Sarrazin beschäftigt mit seinen provokativen Thesen seit Wochen die Republik. Doch die sind biologisch unhaltbar.

Sarrazin sagt, Intelligenz sei zu 50 bis 80 Prozent vererbbar und proportional zu Ausbildungsstand und beruflichem Erfolg. Weil in Deutschland lebende Muslime mehrheitlich zur Unterschicht gehören, müssen sie also dümmer sein. Und weil sie sich vermehren wie die Kaninchen, wird Deutschland demnächst dumm und muslimisch sein.

Diesen sogenannten Dreisatz verteidigt der Noch-SPD-Mann und Noch-Bundesbanker mit beeindruckender Hartnäckigkeit. Bei „Beckmann“ zitierte er sogar einen Artikel aus dieser Zeitung als Beleg für seine Behauptung, dass „alle Juden ein bestimmtes Gen“ hätten – höchste Zeit, den biologistischen Unsinn zu widerlegen.

Das ist nicht ganz einfach, weil Sarrazin – wie viele Demagogen – Wahres mit Unwahrem geschickt vermischt. Wahr ist erstens, dass in Deutschland lebende Muslime statistisch schlechtere Schulnoten haben, häufiger von Sozialleistungen leben und häufiger an Gewalttaten beteiligt sind als andere Menschen mit Migrationshintergrund. Darüber muss offen gesprochen werden – gerade um zu verhindern, dass radikale Thesen wie die des Herrn Sarrazin auf fruchtbaren Boden fallen.

Auch Sarrazins Behauptungen von der Erblichkeit der Intelligenz sind nicht so abwegig, wie ihm vorgehalten wird. Eineiige Zwillinge haben zu 85 Prozent einen ähnlichen Intelligenzquotienten (IQ). Wenn beide Elternteile hochintelligent sind, wird etwa die Hälfte ihrer Kinder wieder hochintelligent. Theoretisch könnte man den IQ einer Population wohl steigern, indem man nur den Intelligentesten erlaubt, sich zu vermehren. Das wäre jedoch praktisch nur unter Laborbedingungen möglich und würde auch keinen Vorteil für den Staat bringen.

„Intelligenz“ in der ursprünglichen Definition bezieht sich auf eine angeborene, unveränderliche Eigenschaft. Zu diesem Zweck wurden IQ-Tests auf bestimmte, leicht quantifizierbare Fähigkeiten des abendländischen Kulturraumes so standardisiert, dass dabei eine Normalverteilung (Glockenkurve) mit einem mittleren IQ von 100 herauskommt. Intelligenztests messen also – absichtlich – nur einen winzigen Teil der menschlichen Fähigkeiten. Zusätzlich bestimmen sie – unabsichtlich – zu etwa 30 Prozent erlernte Fähigkeiten mit, deshalb erreichen besonders geförderte Kinder mehr Punkte, als ihrem wahren IQ entspricht.

Es verwundert daher nicht, dass herausragend begabte Wissenschaftler und Künstler und beruflich anderweitig Erfolgreiche häufig nur durchschnittliche Testergebnisse liefern. Hochbegabte denken oft umständlich, haben unorthodoxe Assoziationen und lösen IQ-Aufgaben langsamer als Durchschnittsmenschen. In vielen Berufen sind emotionale und soziale Fähigkeiten wichtiger als der IQ.

Weil IQ-Tests nur ganz bestimmte Fähigkeiten prüfen, gibt es statistische Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen, sofern sie genetisch voneinander abgegrenzt sind. Beispielsweise schneiden Mitteleuropäer (auch ohne Trainingseffekt) besser ab als australische Aborigines oder afrikanische Buschmänner. Allerdings sind die von Thilo Sarrazin diffamierten „Türken und Araber“ beziehungsweise „Muslime“ weder von einheitlicher Abstammung, noch erzielen sie in IQ-Tests schlechtere Ergebnisse als Deutsche. Auch Juden haben weder eine besondere Intelligenz noch ein „bestimmtes Gen“.

Der Flaschenhals für die Leistungsfähigkeit Deutschlands ist nicht der mittlere Intelligenzquotient seiner Bevölkerung. Es kommt vielmehr darauf an, möglichst vielen Menschen die Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten zu ermöglichen. Wenn alle muslimischen Migranten ihrem genetischen IQ entsprechend lernen und arbeiten könnten, würden sie den autochthon Deutschen in Nichts nachstehen.

Auch die höhere Kinderzahl bildungsferner Schichten hat nur am Rande mit den Muslimen etwas zu tun. Akademiker und beruflich Erfolgreiche haben sich hierzulande oft bewusst gegen eine große Familie entschieden. Hinzu kommt, dass es junge Eltern nach wie vor nicht leicht haben, Kinder und Karriere zu verbinden. Was den sozialen Wert einer großen Kinderzahl angeht, könnten wir von den Muslimen einiges lernen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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