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Meinung: Schills Schrapnelle

Hamburger Verhältnisse oder die Frage nach dem Anstand in der Politik

Schill. Was ist es nur, das unser Interesse immer wieder weckt, wenn dieser Name ausgesprochen wird? Wie ein Monstrum taumelt der Rechtspopulist durch die politische Landschaft, selbst sein Absturz lässt noch einmal die Erde beben. Die deutsche und internationale Parteiengeschichte steckt voller gescheiterter Führerfiguren, die am rechten Rand aufstiegen und dann schnell wieder vergessen wurden. Aber da war eben auch einer in Deutschland, der blieb länger, und er richtete unvergleichlich viel Elend an. Schill ist kein Nazi. Aber er steht für die autoritäre Option, die unser System eben auch im Angebot hat. Er ist das Synonym für Parteienkrise und Politikerverdruss, für den Erfolg vereinfachender Unvernunft. Sein Erfolg bewies: Die Demokratie bietet auch wirren Geistern und inhumanen Lösungen eine Bühne – in Hamburg bot sie sogar einen warmen Platz auf der Senatsbank. Ist mit Schills Abgang jetzt alles wieder gut?

Der Pakt, den CDU und FDP in Hamburg mit Schills Gefolgschaft geschlossen haben und an dem sie bis heute fast fröhlich festhalten, stellt eine Zäsur dar, nicht nur für die reiche Stadt an der Elbe. Vielleicht wird ja das ganze Ausmaß dieses Vorgangs erst in zehn oder zwanzig Jahren wirklich umfassend aufgearbeitet sein: die Intoleranz gegenüber anders Denkenden und Minderheiten, die Verherrlichung staatlicher Gewalt, der Zynismus gegenüber der Armut und die Party in Blankenese, die ins Elend und Abseits geschobenen Asylsuchenden, die Missachtung der Opposition, banale Unterhaltung als Prinzip der Kultur.

Dass Schill regierungsfähig wurde, verdankt er nicht nur den hoffnungslos Willigen, die ihn wählten. Er verdankt es auch denen, die in Hamburg über wirtschaftliche und publizistische Macht verfügen. Erst wenn ihnen die Kosten dieses gewagten Projekts höher erscheinen als der Ertrag, wird die Stimmung überall kippen in der Stadt. So lange macht der Senat einfach weiter; das Kopfschütteln anderswo ist ihm schnuppe.

Ole von Beust wird so lange entrückt lächeln, bis er weniger als 61 Stimmen im Parlament hat. Das ist logisch: Ohne die Populisten wäre er nie Bürgermeister geworden, und der Amtsbonus soll doch gemehrt werden. Danach kann er immer noch den Nachlass seiner Partner in Form von 10 bis 15 Prozent der Wählerstimmen einsacken – wenn ihn nicht noch ein Schrapnell Schills trifft.

Die Rechtspopulisten machen weiter, ohne ihren wichtigsten Mann und ohne Zukunft. Das ist auch logisch: Bei Neuwahlen wäre ja sofort Schluss. Die Bürgerrechtspartei FDP freut sich über den Fortbestand der ganz und gar nicht liberalen Koalition. Das ist hochlogisch: Dürften die Hamburger jetzt abstimmen, wäre sie eine blaugelbe APO; eine außerparlamentarische Opposition. Und die Aufgabe von Regierungssitzen aus prinzipiellen Gründen gehört ja traditionell nicht zu den freidemokratischen Stärken.

SPD und GAL wollen Neuwahlen. Auch das ist logisch: Die Umfragen machen ihnen Hoffnung, und ein Wahlerfolg könnte bundesweit eine Trendwende bringen. Doch noch ist nicht im Detail dargelegt, was Rote und Grüne wirklich aus ihrem Versagen und dem Siegeszug der Populisten von 2001 gelernt haben. Schill hat sogar die Programmatik der Opposition verändert.

Hamburg, das ist der Lackmustest des Anstands. Hier kann man besichtigen, wozu Politiker fähig sein können, wenn die Gelegenheit da ist. Wenn die Wirtschaftskrise zu Kriminalität mutiert, wenn immer mehr Reiche auf immer mehr Arme treffen, wenn Gemeinsinn und Mitleid fast zu Schimpfwörtern werden, wenn die Macht die Moral beiseite schiebt – notfalls mit einer Stimme Mehrheit. Der nächste Wahlkampf, wann immer er auch kommt, er wird nicht nur für Hamburg wichtig sein.

Günter Beling

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