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Meinung: Schiri, wir lieben dich! Gut, dass der Präsident die Verfassung schützt

Das hätte sich Bundespräsident Horst Köhler wohl kaum träumen lassen, dass er noch in seinem ersten Amtsjahr Schiedsrichter spielen müsste in einer parlamentarischen Krisensituation. Nun aber hat er letztlich zu entscheiden, ob es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen soll.

Das hätte sich Bundespräsident Horst Köhler wohl kaum träumen lassen, dass er noch in seinem ersten Amtsjahr Schiedsrichter spielen müsste in einer parlamentarischen Krisensituation. Nun aber hat er letztlich zu entscheiden, ob es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen soll. Er muss prüfen, ob der vom Kanzler und den Parteien gesuchte Weg dorthin verfassungsrechtlich einigermaßen stubenrein ist. Genau genommen hat Köhler jetzt die einzige reale Macht auszuüben und zu verteidigen, die dem Bundespräsidenten in unserem parlamentarischen System einigermaßen originär zukommt.

Nur einigermaßen originär deshalb, weil allein der Kanzler durch eine Vertrauensfrage, mit der er im Bundestag scheitert, den Prozess überhaupt in Gang setzen kann. Dann aber ist der Bundespräsident an der Reihe. Stellt der Kanzler an ihn den Antrag, den Bundestag aufzulösen, so kann er diesem Antrag entsprechen – muss es aber nicht. Er kann sich auch umhören, ob es im Parlament jemanden gibt, der den Versuch wagt, den immer noch amtierenden Kanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen (Achtung: Kanzlermehrheit unbedingt erforderlich!); Kräfte und Kandidaten können sich freilich auch von selber melden. Ja, am Ende könnte der Bundespräsident zu dem Urteil kommen, der bisherige Kanzler solle erst einmal weiterregieren; dies vor allem dann, wenn eine manipulierte Vertrauensfrage dem gegenwärtigen Regierungschef nur dazu dienen soll, zu einem für ihn opportunen Zeitpunkt zu vorzeitigen Neuwahlen zu kommen. Der Bundespräsident hat also zwar nicht die Initiative, aber doch die Entscheidung in der Hand.

Das hatte den Parteien, insbesondere den beiden großen, nie so recht gepasst. Als Helmut Kohl 1982 seinen Vorgänger Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum stürzte, hat er den opportunistischen Schrei der SPD, ein solcher Kanzlersturz bedürfe zu seiner Legitimität sofortiger Neuwahlen (das war ganz unsinnig gewesen!), auf der Stelle ebenso opportunistisch genutzt. Kohl wollte nicht bloß – und zunächst – für den Rest einer Legislaturperiode amtieren, sondern unverzüglich eine volle, neue Legislaturperiode vor sich sehen. Folglich ließ er sich an einem Tag im Dezember 1982 von der neuen liberal-konservativen Mehrheit einen kompletten Haushalt friedlichst verabschieden – und sich am nächsten Tag von derselben Mehrheit das verloren gegangene Vertrauen bescheinigen: Eine eklatante Manipulation der Fakten und der Verfassung. Bundespräsident Karl Carstens hatte sich ihr gebeugt, weil Kohl ihm bedeutet hatte: Wenn du nicht zustimmst, führen wir das Selbstauflösungsrecht des Bundestages ein! Und das hätte den Bundespräsidenten völlig aus dem parlamentarischen Krisenmechanismus ausgeschaltet, ihn regelrecht politisch kastriert.

Noch einmal kamen die Volksparteien auf das Selbstauflösungsrecht des Bundestages zurück – in der Gemeinsamen Verfassungskommission nach der Wiedervereinigung. Doch Carstens Nachfolger Richard von Weizsäcker war aus anderem Holz geschnitzt. Er machte den beiden Protagonisten – Wolfgang Schäuble von der Union und Hans-Jochen Vogel von der SPD – klar, dass er die Kompetenzen seines Amtes mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gedenke. Es blieb beim geltenden Verfassungsrecht. Und das ist gut so! Denn ein Selbstauflösungsrecht würde nicht nur das Staatsoberhaupt entmächtigen, sondern wäre zudem ein Instrument allein in den Händen der großen Parteien; denn für die dabei vorgesehene Zweidrittelmehrheit käme es nie auf die kleineren Parteien an. Seien wir froh, dass uns der Bundespräsident als Schiedsrichter erhalten geblieben ist! Und vertrauen wir darauf, dass Horst Köhler diese Probe kaltblütig bestehen wird.

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