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Schlecker: Leben nach dem Irrtum

Der Fall von Anton Schlecker zeigt wieder einmal, dass sich Unternehmer in Deutschland oft zu spät Hilfe holen. Es fehlt in diesem Land eine Kultur des Scheiterns

Erfolgreiche Unternehmer, so sagt es eine Studie, brauchen neben Leistungs- und Durchsetzungsbereitschaft vor allem Anpassungsfähigkeit. Anton Schlecker hat Letzteres gefehlt. Jahrzehntelang führte er sein Drogerieunternehmen, ohne anderen Einblick zu gewähren, auf den Rat von Außenstehenden gab er nicht viel. Banken und Berater, sie waren seine Feinde. Selbst als schon fast alles verloren war, als die Umsätze nicht mehr stimmten und sich die Verluste türmten, wollte er nicht einsehen, dass sein Konzept überholt ist.

Jetzt werden Anton Schlecker und seinem Management Straftaten vorgeworfen, Untreue, Bankrott und Insolvenzverschleppung. Zu spät, und zwar wissentlich, soll er zum Richter gegangen sein und damit seine Gläubiger – Mitarbeiter, Vermieter und Lieferanten – massiv geschädigt haben. Mehr als eine Milliarde Euro wollen diese nun von ihm haben. Zwar ist noch nicht klar, ob er sich wirklich schuldig gemacht hat. Seine Drogeriemarktkette aber hat Anton Schlecker vor die Wand gefahren.

Der Bilderbuchpatriarch ist damit in guter Gesellschaft. Denn Insolvenzverschleppung ist ein Massenphänomen. Gegen mehr als 1000 Personen ermittelte die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen in Stuttgart 2011 in diesem Zusammenhang. Häufig sind es Unternehmer wie Anton Schlecker, die sich ein eigenes Imperium aufgebaut haben und nicht einsehen wollen, dass sich ihr Geschäftskonzept oder ihr Führungsstil überlebt haben. Die weiterwirtschaften, anstatt sich Hilfe zu holen, obwohl sie schon ahnen, dass etwas grundlegend falsch läuft.

Adolf Merckle war so ein Unternehmer. Aus der kleinen Arzneimittelhandlung seines Vaters baute er einen 30 Milliarden Euro schweren Konzern mit 100 000 Mitarbeitern auf, der alles mögliche – von Pharmaprodukten über Zement bis hin zu Skiliften – herstellte. Er trieb sein Imperium durch seine Unternehmensführung und Fehlspekulationen mit Aktien 2008 fast in die Pleite. Als Merckle, der wie Schlecker als verschwiegen und öffentlichkeitsscheu galt, sah, dass die Insolvenz drohte, nahm er sich das Leben, statt zum Richter zu gehen.

Es gibt etliche kleinere Beispiele, wie zum Beispiel das des Patriarchen Gert Moeller. Der ließ sein Anlangenbauunternehmen Anfang des Jahrtausends fast in die Pleite schlingern ließ, weil er sich bei der Unternehmensführung nicht gegen seine eigene Familie durchsetzen konnte.

Der Eindruck der öffentlichen Demütigung, der Ächtung, er stammt noch aus dem Mittelalter, als zahlungsunfähige Schuldner an den Pranger gestellt wurden, in der Mitte des Marktplatzes. Auch in der Bundesrepublik galt der Bankrott noch lange Zeit als das Ende, der Insolvenzverwalter war nur der Henker, der die Scherben des Unternehmens aufkehrte. 1999 wurde endlich das Gesetz reformiert. Fortan bedeutete die Insolvenz erst einmal nur die Zahlungsunfähigkeit, der Verwalter sollte nicht nur nach Schuldigen suchen, abwickeln, er sollte retten. Seit März gilt nun ein neues Recht, das die Insolvenz stärker als Chance zur Sanierung betrachtet, wenn möglich auch in Eigenregie, ohne eine Entmachtung der Unternehmensführung.

Doch es reicht nicht, das Gesetz zu ändern, ändern muss sich auch das Denken. In den USA wird das Prinzip von „Trial and Error“ („Versuch und Irrtum“) hochgehalten, das Fehlschläge einkalkuliert. In Deutschland fehlt eine solche Kultur des Scheiterns, die Gründung und Pleite, Einstellung und Kündigung als normale Vorgänge in einer Marktwirtschaft anerkennt. Davon würden auch die Gläubiger profitieren, die besonders dann leer ausgehen, wenn Unternehmer zu spät handeln.

So wie im Fall Schlecker. Hätte der Patriarch früher Insolvenz angemeldet - vielleicht wäre dann noch etwas zu retten gewesen, von der einst größten deutschen Drogeriekette mit mehr als 25 000 Beschäftigten.

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