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Meinung: Schön, da zu sein

Warum die moderne Naturwissenschaft uns Gelassenheit lehrt.

Gottesteilchen, das klingt bombastisch. Dabei ist das so bezeichnete Higgs-Boson nur ein winzig kleines Elementarteilchen. Wissenschaftler am gigantischen Teilchenbeschleuniger LHC des Genfer Forschungszentrums Cern haben nun Hinweise auf das Higgs-Teilchen gefunden. Als Gottesbeweis taugt Higgs jedoch kaum. Eher ist sein Fund geeignet, ein materialistisches Weltbild zu bestätigen, das ohne Gott auskommt. Denn es fügt sich in das bisherige Gedankengebäude vom Aufbau der Materie ein, folgt der inneren Logik der Physik. Auch wenn die Forscher weiter ergründen werden, wie die Welt in ihrem Innersten zusammengesetzt ist.

Natürlich stellt sich am Beispiel der Jagd auf Elementarteilchen mancher die Frage, ob die Milliarden Euro an Steuergeldern, die solche Großvorhaben kosten, gerechtfertigt sind. Dafür gibt es einen einfachen Maßstab. Ein Forschungsvorhaben, das unseren Wissenshorizont erheblich erweitert, sollte uns durchaus etwas wert sein. Das kann für die Arbeit am Cern gelten, wo nach Bausteinen des Mikrokosmos gefahndet wird. Und ebenso für Weltraumteleskope wie „Hubble“, die uns weiter ins All sehen lassen. Oder für das Humane Genom-Projekt, das einen ersten großen Schritt zur genetischen Selbsterkenntnis bedeutete.

Das Bild der Welt, wie es die Naturwissenschaft zeichnet, ist jenseits aller kulturellen oder weltanschaulichen Grenzen gültig. Es beruht auf jederzeit überprüfbaren und damit auch potenziell widerlegbaren Messungen und Schlussfolgerungen. Und es wandelt sich. Die Veränderungen können revolutionär sein, wie vor 100 Jahren, als Forscher wie Einstein, Planck oder Bohr die Fundamente der Physik erschütterten. Oder es kann ein stetiger Fluss neuen Wissens sein, der sich allmählich in die Landschaft eingräbt, wie das in der modernen genetischen Forschung der Fall ist.

Die Wissenschaft lässt uns heute Dinge sehen, die früher für das menschliche Auge unsichtbar waren. Der Biologe Richard Dawkins vergleicht das kleine Spektrum sichtbaren Lichts, das wir mit den Augen wahrnehmen können, mit dem Sehschlitz einer Burka. Wer sie abnimmt, wird die Welt mit neuen Augen sehen. Genauso ermöglichen es heute Messapparate, die ganze Bandbreite elektromagnetischer Strahlung zu erkennen.

Wir haben neue Augen bekommen. Mit ihnen sehen wir auf einen Kosmos, der von ständiger Veränderung gekennzeichnet ist: ein Universum, das auseinanderstrebt und in dem Raum und Zeit nicht mehr absolute Bedeutung besitzen. Ein Universum, das mit Milliarden von Galaxien gefüllt ist, die wiederum Milliarden von Sterne in sich bergen und in dem vor kurzem ein Schwarzes Loch entdeckt wurde, das etwa das Zehnmilliardenfache der Masse unserer guten alten Sonne umfasst. Und wir sehen auf einen Mikrokosmos, in dem Ursache und Wirkung, Nähe und Entfernung und selbst Leben und Tod nicht mehr eindeutig zu trennen sind. Und auf einen „mittleren“ Kosmos, in dem das irdische Leben und der Mensch eine Frucht von Milliarden Jahren kontinuierlicher Entwicklung sind.

Wer heute in den Himmel sieht, hat also mehr denn je Grund zum Staunen. Und mehr denn je zur Gelassenheit. Schön, da zu sein. Schön, in unserer knapp bemessenen Lebenszeit ein wenig von dem zu verstehen, was die Wirklichkeit an Wunderbarem bereithält.

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