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Meinung: Schwache an die Front

Mit militärischen Mitteln kann die Türkei den Kurdenkonflikt nicht lösen

Ganz gleich, ob es den USA noch gelingt, die türkischen Nato-Partner von einer Invasion in den Nordirak abzubringen – die bisherige Entwicklung hat die Schwäche der türkischen Kurdenpolitik offengelegt: Statt eine politisch umfassende Strategie zu verfolgen, besteht Ankaras Rezept darin, fast ausschließlich militärisch auf die Aktionen der kurdischen PKK-Rebellen zu reagieren. Damit überlässt die Türkei den Extremisten die Initiative. Wenn sich das nicht ändert, werden die Angriffe der Rebellen stets wieder von neuem beginnen.

Die türkische Regierung sagt, in der PKK-Krise gehe es um die Abwehr einer akuten terroristischen Bedrohung, zu der die Türkei wie jeder andere Staat berechtigt sei. Tatsächlich haben die USA und die nordirakischen Behörden die PKK viel zu lange gewähren lassen. Mittel- und langfristig liegt die Verantwortung aber allein bei der Türkei selbst. Sie fürchtet den kurdischen Separatismus so sehr, dass sie hinter jeder Forderung nach mehr Autonomie einen Angriff auf die Einheit der Republik wittert. Noch heute stehen viele Politiker und Militärs in der Türkei auf dem Standpunkt, dass es in ihrem Land kein Kurdenproblem gibt, sondern nur ein Terrorproblem.

Damit werden die gemäßigten Kräfte bei den Kurden an den Rand gedrängt, der Staat spielt der PKK in die Hände. Die Rebellen verstehen sich selbst als alleinige Vertreter der türkischen Kurden – wenn selbst harmlose Vorschläge als staatsfeindlich bewertet werden, stärkt das nur rechtsextreme Türken und radikale Kurden. Und zwar nicht nur in Anatolien. Städte wie Berlin erleben, wie schnell der Konflikt sich über die Grenzen der Türkei hinaus verbreiten kann.

Die Erdogan-Regierung hat sich in den vergangenen Jahren zwar um einen Neuanfang in der Kurdenpolitik bemüht, sie ist jedoch in den Ansätzen stecken geblieben. Noch immer ist in den Kurdengebieten die Arbeitslosigkeit höher, die Armut größer und die Lebenserwartung geringer als in anderen Teilen der Türkei. Auch die Hoffnungslosigkeit nützt der PKK.

Das Fehlen einer auf Wohlstandsmehrung und soziale Reformen angelegten Politik in den Kurdengebieten geht einher mit einer Überbetonung der militärischen Option. Das ist nicht gut für die Türkei, es ist nicht einmal gut für die Armee. Die Türkei verfügt über die zweitstärkste Streitmacht der Nato, und doch schaffen es die Militärs nicht, 5000 Rebellen aus den Bergen zu vertreiben. Selbst der Generalstab in Ankara gibt inzwischen zu, dass der Konflikt mit militärischen Mitteln allein nicht zu lösen ist.

Immerhin rückt die Erdogan-Regierung immer mehr von überkommenen Vorstellungen vom türkischen Einheitsstaat ab. Der Premier sowie Staatspräsident Abdullah Gül loben öffentlich die ethnische Vielfalt ihres Landes als Reichtum. Doch den schönen Worten müssen Taten folgen. Wenn die Türkei nicht handelt und mehr für ihre Kurden tut, wird das türkisch-irakische Grenzgebiet eine Region chronischer Krisen bleiben. Und das werden auch die Berliner weiter zu spüren bekommen.

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