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Meinung: Sehr geehrte Damen und Herren, …

Eine Rede hält man am besten witzig und kurz

Wieder einmal ein Stück vergleichender Völkerkunde, Unterabteilung politische Sitten und Gebräuche, zweites Kapitel: Der Witz. Natürlich nicht der Witz als solcher, sondern als obligatorischer Bestandteil einer öffentlichen Rede – bei einem Kongress, einem Empfang, gar im Parlament. Es handelt sich bei dieser inzwischen fast eingebürgerten Pflicht, die Leute wenigstens einmal zum Lachen zu bringen, um eine eher junge kulturelle Anleihe bei den zu mancherlei Selbstironie fähigen Briten. Auf internationalen Foren mit vorwiegender Benutzung der englischen Sprache werden deshalb auch unsererseits mit Vorliebe Churchill-Anekdoten und -Dicta bemüht – etwa von der Art: Traue keiner Statistik, die du nicht selber manipuliert hast … Ansprachen an amerikanische Zuhörer hingegen enthalten, nach meiner persönlichen Zählung, ziemlich häufig den Hinweis auf die Oper, die nicht vorüber ist, before the fat lady sings – also bevor die Primatonna ihre Stimme erhoben hat; nur zu selten bezieht das der Redner auf sich selber. (Im deutsch-französischen Austausch finden derlei Übungen in gezieltem Humor kaum statt – vielleicht, weil der französische Esprit das offene Lachen eher vulgär findet oder der französische Offizielle, darin manchem Deutschen gleich, eher das ist, was der Brite „pompous“ nennt: selbstgefällig.)

Sei dem, wie dem sei, gegen Pointen kann man ja eigentlich nichts haben. Nur sollten wir die anderen weder zu übereifrig noch zu unbeholfen nachahmen. Was nutzt es, wenn ein Redner sich eine angelsächsische Anekdote heraussucht, sie abrupt an den Anfang seiner Intervention stellt – von dann an aber eine ganz stroherne Rede vom Blatt abliest und schließlich mit der völlig berechtigten Bemerkung endet: „Ich danke für Ihre Geduld.“ Derlei verstößt schon deshalb gegen den Geist des wahren Witzes, weil die Pointe ja am Ende, jedenfalls nicht nur am Anfang stehen sollte. Also: Hände weg vom Witz, wenn er doch nur den Kontrast zum eigentlichen Text der Rede verschärft.

Denn in Wirklichkeit sollte die Rede selber vom Witz sprühen, nicht nur ihr aufgeklebter Anfang. Eine geistvolle Rede muss aber geradezu notwendigerweise recht kurz (oder eben überaus geistvoll) sein, weil nichts den Geist zuverlässiger tötet als schiere Länge. Eine Ansprache aber, in der die Wendung „Lassen Sie mich nun zum Ende …“ auch nur vorkommt, ist schon zu lang gewesen, abgesehen davon, dass eine solche späte und doch voreilige Ankündigung sich oft genug selber als schlechter Witz erweist. Ich habe bis heute die Ansprache eines deutschen Politikers im Ohr, der in Washington einen luncheon speech liefern sollte, seine Beamten auch dazu anhielt, die offizielle Version für ihn ins Englische zu übertragen – aber keiner wagte es, dem Minister zu sagen, dass diese Rede mindestens fünfzig Minuten dauern würde, nach welchen auch den Gutmütigsten der Appetit gänzlich vergangen war. Das krasse Gegenbeispiel dazu bot ein deutscher Spitzenpolitiker, der nach 1989 bei einem Antrittsbesuch in einem ostmitteleuropäischen Staat seine Gastgeber – ungelogen! – überwiegend mit Witzen über Breschnew traktierte, als ob sie diese nicht kennten und sie die gleichnamige Ära als besonders witzig empfunden hätten.

Wenn es also gelänge, nach und nach die Einsicht zu verbreiten, dass die unterrichtende Rede durchaus unterhaltsam sein kann (und auch sein darf, meine sehr geehrten Damen und Herren!), dass Witz und Weisheit einander nicht etwa Feind sind, sondern sich geradezu bedingen, und dass der wahre Tiefsinn just in der Ironie liegt, wäre schon viel gewonnen. Vor allem müssten wir dann nicht mehr so mühsam nach einem alleinstehenden Witz für den Anfang suchen.

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