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Energische Kommissarin: Viviane Reding, die das EU-Rechtsressort leitet, traut sich was.

© AFP

Kontrapunkt: Selbst bestimmen

Wer unsere Bedingungen nicht mag, muss unsere Dienste ja nicht nutzen, sagen Google und Facebook. Doch so einfach ist es nicht. Warum wir mehr Rechte gegenüber Internetunternehmen brauchen.

Von Anna Sauerbrey

Lass’ uns die Bombe zünden, mögen sich die Verantwortlichen bei Google und Facebook gedacht haben, wenn ohnehin viel Lärm auf der Straße ist – vielleicht geht der Knall ja unter. Dass Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, am Mittwoch ihre Vorschläge für eine Reform des EU-Datenschutzes vorstellen würde, war bekannt, eine Novellierung, die vor allem auch die Sammel- und Speicherpraxis der Internetdienstleister regeln soll. Die Kommissarin will das europäische Datenschutzrecht auf nicht-europäische Konzerne ausdehnen und die Anbieter verpflichten, den Nutzern mehr Selbstbestimmung einzuräumen. Im unweigerlich folgenden Herumgehacke auf den „Datenkraken“, so könnten sich die Internetriesen gedacht haben, macht eine schlechte Nachricht mehr oder weniger auch nichts mehr aus. Und so gab am Mittwoch Facebook bekannt, dass sein Dienst „Timeline“ in Zukunft für alle Nutzer verpflichtend ist, ein Dienst, der ältere Beiträge und Fotos wieder dem Vergessen entreißt. Google teilte mit, es werde die Daten aus seinen zahlreichen Diensten zusammenlegen. Alma Whitten, Googles Datenschutzbeauftragte, bewarb den Schritt: „Wir können Sie darauf hinweisen, dass Sie spät dran sind für ein Treffen, ausgehend von Ihrem Aufenthaltsort, Ihrem Kalender und einer Vorstellung von dem aktuellen Verkehr.“ Na, wenn das so ist: Danke, Google!

So sehen sich die Internetdienste am liebsten: Als allgegenwärtiger Freund und Helfer im Alltag. Und das sind sie faktisch auch geworden. Wer sich einmal angeschlossen hat an die virtuellen Mainzelmännchen, kann bald nicht mehr ohne. Ein Leben ohne Google Maps? Bald werden wir nicht mehr in der Lage sein, einen Stadtplan auch nur richtig herum zu halten.

Dieses Image verhalf den Unternehmen zu einem Vorteil gegenüber dem Datensammler Staat. Hinter staatlicher Datenauswertung wird stets Überwachung vermutet. Die historisch in ihrer Abwehrhaltung geschulten Deutschen machen gegen die Vorratsdatenspeicherung und die Auswertung von Handydaten mobil. Vor Google fürchtet sich niemand. Der Staat hat den Bundesadlerblick, die anderen haben Logos so harmlos wie Bullerbü.

Im Schutz diese Images ist es zu einer Kontrollschieflage gekommen. Zur Eindämmung staatlicher Datensammelwut greifen bewährte Mechanismen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsprechung in Sachen informationeller Selbstbestimmung im IT-Zeitalter weiterentwickelt, die Parlamente können Polizei und Geheimdienste kontrollieren, der Bundesdatenschutzbeauftragte ist wachsam. Den Unternehmen hingegen waren die Verbraucher vergleichsweise schutzlos ausgeliefert. Das Europäische Datenschutzrichtlinie ist ebenso schlecht an das IT-Zeitalter angepasst wie das Bundesdatenschutzgesetz. Schließlich, so das Credo der Unternehmen, müsse ja niemand ihre Dienste nutzen und ihre Geschäftsbedingungen annehmen.

Doch so einfach ist es nicht mehr. Google und Facebook gehören zur Infrastruktur des alltäglichen Lebens wie S-Bahn und Straßen, wie Wasser und Strom. Deshalb ist die Neuregelung, wie sie die EU-Kommissarin nun anstrebt, so wichtig. Ihr könnte gelingen, was ohnehin nur international möglich ist: Das Machtverhältnis zwischen dem Nutzer und den Unternehmen wieder umzukehren und unserer Abhängigkeit von all den praktischen, notwendigen Diensten wieder mehr Selbstbestimmungsrechte entgegensetzen. Nun muss die Kommissarin nur noch durchhalten, bis ihre Novelle den beschwerlichen Weg durch das Brüsseler Dickicht gegangen ist – wo an jeder Ecke ein Lobbyist lauert.

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