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Noch nie gab es in Deutschland so viele Studierende, nämlich fast 2,3 Millionen, wie zu Beginn des Wintersemesters 2011/2012.

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Semesterbeginn: Die Unruhe vor dem Sturm

Noch nie gab es in Deutschland so viele Studierende, nämlich fast 2,3 Millionen, wie zu Beginn des Wintersemesters 2011/2012. Noch können die Unis damit umgehen. Aber die Aussichten sind düster.

Studienbewerber sind oft wählerisch. Paula aus Berlin zum Beispiel. Den Studienplatz in Clausthal-Zellerfeld lehnte sie ab. Es habe zwar eine tolle Szene, aber leider handle es sich um eine tolle China-Restaurant-Szene. Das Angebot der ebenfalls angesehenen TU Darmstadt kam auch nicht infrage. Darm-stadt klinge einfach nicht gut auf dem Abschlusszeugnis. So ging Paula an die TU Berlin. Ihr Mitleid gehört jetzt ihrem Schulfreund Jan, der mit seinem schlechten Abitur nur noch in Magdeburg unterkam und vor Kummer nicht mehr sprechen kann („Er darf sich sein Studium jetzt schön trinken“).

Der Studienanfänger – eine Mimose? Wenn das der ständig beklagte Studienplatzmangel sein soll, dann gibt es ihn nicht. In vielen Fächern kommen Bewerber mit durchschnittlichen Noten noch in Berlin oder in Potsdam unter. Wählt der Großstadtmensch ein sehr beliebtes Fach, muss er es auch mal ein paar Jahre in der Provinz aushalten. So weit, so gut?

Noch nie gab es in Deutschland so viele Studierende, nämlich fast 2,3 Millionen, und noch nie nahm ein so großer Anteil eines Jahrgangs ein Studium auf, nämlich 46 Prozent. Außerdem drängen gerade die ersten großen doppelten Abiturjahrgänge an die Unis, aus Niedersachsen und Bayern. Bisher sieht es so aus, als werde der Run zum heute startenden Semester abgepuffert. Die Mittel aus dem Hochschulpakt, mit dem Bund und Länder für die geburtenstarken Jahrgänge bis zum Jahr 2020 Studienplätze finanzieren, wirken. Die Unis können die Not lindern.

Mag es in diesem Herbst noch glimpflich ausgehen, bald wird es schlimmer. Jährlich rollen doppelte Abiturjahrgänge heran, 2012 in Berlin. Vor Seminaren mit 300 Teilnehmern müssen Abiturienten, die dann in der Hauptstadt studieren wollen, keine Angst haben. Die achtziger und neunziger Jahre sind vorbei. Wohl aber müssen sie damit rechnen, im Stacheldraht des fast flächendeckenden Numerus clausus hängen zu bleiben, mit dem sich die Berliner Unis seit dem Jahr 2004 umgeben. Der Berliner NC wird sich im nächsten Jahr weiter verschärfen. Eine Bevorzugung der Landeskinder verbietet aber die Verfassung.

Unterdessen wird es im von vielen noch verschmähten Überlaufbecken in der (ost)deutschen Provinz langsam voll, auch dort haben immer mehr Fächer einen NC. Die Provinz ist zumutbar. Ist es auch zumutbar, wegen Platzmangels auf Spanisch verzichten und Theologie studieren zu müssen? Viele Abiturienten verhalten sich schon jetzt flexibel und kaschieren den Mangel damit. Dabei wird die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Berufswahl immer weiter ausgehöhlt. Wie viel Wartesemester für ein Medizinstudium sind hinnehmbar? Damit beschäftigten sich gerade wieder die Richter. Nicht nur die Hochschulrektoren, auch BDA und BDI schätzen, dass bundesweit 50 000 Studienplätze fehlen.

Berlin hat nach einer Sparorgie unter Rot-Rot im Jahr 2003 gegengesteuert und wieder tausende neue Studienplätze mit dem Hochschulpakt aufgebaut. Dafür, dass der Pakt an allen Ecken und Enden unterfinanziert ist, kann der Senat nichts. Auch nicht dafür, dass der Pakt in ein paar Jahren ausläuft. Wie Berlin dieses riesige Loch dann stopfen will, gehört zu den großen Sorgen der Stadt. Es ist aber nicht nur eine Sorge Berlins.

Am Donnerstag besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel die Kultusministerkonferenz. Hoffentlich hat sie in ihrer Handtasche eine große Strategie für die seit Jahrzehnten unterfinanzierten Hochschulen.

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