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Der deutsche Reit-Teamchef Otto Becker mit der deutschen Fahne (Foto aus dem Jahr 2011).

© dpa

Sostmeiers Patzer aus Sicht der Briten: Die humorlosen Germanen - eine anglo-deutsche Affäre

Der Ausrutscher des ARD-Kommentators Sostmeier hätte in Großbritannien kaum Aufregung hervorgerufen, meint unser englischer Autor. Stattdessen wundern sich die Briten über die deutsche Humorlosigkeit - und sehen eines ihrer Lieblings-Klischees bestätigt.

Die Deutschen sind humorlos. Das zu glauben wurde ich erzogen. Sie verstehen nicht „Fawlty Towers“, sie haben laut Edmund Blackadder kein Wort für „fluffy“ und sie schlagen uns immer bei der Fußball-WM. In Großbritannien ist der humorlose Deutsche kein Stereotyp, sondern eine Tatsache. Genauso wie der homosexuelle Franzose oder der dumme Amerikaner.

Keines dieser Stereotypen ist natürlich berechtigt. Die Behauptung, dass die Deutschen nicht lustig sind, ist aber in Großbritannien besonders schwierig zu widerlegen. Es spielt keine Rolle, wie viele zwerchfellerschütternde Witze Henning Wehn (der selbsternannte deutsche Comedy-Botschafter) einem englischen Publikum erzählt – die Deutschen werden immer humorlos sein. Das ist, wie gesagt, eine Tatsache.

Doch warum? Wieso sind die Briten von ihrer Comedy-Souveränität so überzeugt? Die meisten Briten kennen gar keinen deutschen Komiker, geschweige denn, dass sie jemals eine Comedy-Show auf Deutsch angeschaut hätten. Doch es gibt für die Briten einen überragenden Beweis, dass die Deutschen humorlos sind: Sie lachen nicht über Nazi-Witze. Für eine Nation, die auf Selbstironie basiert, ist das unvorstellbar.

Ich bin Fan des FC Bayern. Auch ein britischer FC-Bayern-Fan kann nicht in England einen Sieg seiner Mannschaft über einen englischen Gegner feiern, ohne dass er mit einem Liedkonzert von „Zehn deutsche Bomber waren in der Luft“ beantwortet wird. Und wenn er darüber nicht lacht, ist er einfach ein typischer, humorloser Deutsche. Auch wenn er kein Deutscher ist.

Auch die Idee, dass die Deutschen über die Nazi-Zeit nicht lachen können, ist natürlich falsch. Aber in der britischen Kultur gibt es so viele Witze über die Nazis, dass es kein ernstes Thema mehr ist. Die Tatsache, dass die Deutschen es nicht lustig finden, immer als Nazis bezeichnet zu werden, beweist nur dass sie humorlos – und deswegen eigentlich Nazis – sind.

Der peinliche verbale Patzer von Carsten Sostmeier bei der Übertragung des olympischen Reitturniers am Dienstag wäre kein Skandal gewesen, wenn es in Großbritannien passiert wäre. Es wird eigentlich erwartet, dass jeden sportlichen Erfolg der Deutschen (und auch jede Niederlage) Nazi-Vergleiche oder Nazi-Witze begleiten. Wenn Deutschland gewinnt, gewinnt es mit der Effizienz der Wehrmacht und wenn sie verlieren, ist es Rache für den Holocaust. Wie der beliebte BBC-Fußballkommentator John Motson vor ein paar Jahren gesagt hat, als England das erste Tor in einem Freundschaftsspiel gegen Deutschland erzielte: „Die singen nun nicht 'Deutschland über alles', oder?“

Stimmt, Motty, das singen Sie nicht. Das singen sie seit 1945 nicht mehr, falls es dir nicht aufgefallen ist.

Die Briten hatten keine eigene Version der Nazi-Zeit und damit haben sie den Luxus der Selbstironie. Dass Sostmeiers Kommentare in Deutschland als skandalös gelten, würde für die Briten nur beweisen, dass die Deutschen vollkommen humorlos sind. Aber, wie ich immer den Sängern des „Zehn German Bomber“ sage: Wenn der lustigste Witz, den du über Deutschland machen kannst, von Nazis handelt, dann hast du kein Recht, dich selbst für besonders humorvoll zu halten.

Kit Holden kommt aus Großbritannien und macht derzeit ein Praktikum beim "Tagesspiegel". Den Originaltext in englischer Fassung finden Sie hier

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