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Ob die korrekte Bezeichnung der Brötchen wirklich das Problem ist?

© dpa

Stadtentwicklung: Schwaben-Streit? Berlin sollte größere Brötchen backen

Es geht nicht um Schrippen und darum, wie man sie in Berliner Bäckereien bezeichnen sollte, meint Werner van Bebber. In der Schwaben-Debatte geht es um Überfremdungsgefühle, Migrantenpflichten, die Macht des Geldes und die Notwendigkeiten einer Stadtentwicklungspolitik.

Die tiefschürfende Frage: Schrippen oder Wecken? Dass Wolfgang Thierses Schwaben-Attacke seit Tagen heftig diskutiert wird, könnte gute andere Gründe haben. Vielleicht sind es nicht nur solche, die mit schwäbischen Eigenarten und deren versuchtem Import in die Hauptstadt und ihre Modebezirke zusammenhängen. Thierse hat, dafür seien einem älteren Mann auf dem Weg in die Rente fünfzehn Minuten Polit-Ruhm gegönnt, eine Debatte begonnen, in der es um Überfremdungsgefühle, Migrantenpflichten, die Macht des Geldes und die Notwendigkeiten einer Stadtentwicklungspolitik geht – und nebenbei darum, ob ein politisch Ober-Korrekter sich unkorrekt verhalten hat. Aber das kann man vernachlässigen.

Thierses Heimat, der Berliner Kollwitzplatz, ist zum Inbegriff bürgerlicher städtischer Lebenskultur geworden: voller Abwechslung, etwas aufgebrezelt, modisch, hübsch, attraktiv – und doch werden die letzten Original-Anwohner den Politiker Thierse bei jeder Gelegenheit daran erinnern, dass da eine Entwicklung über tausende andere Original-Anwohner hinweggegangen ist. Des einen Investition in einen sanierten Altbau ist des anderen unerträgliche Mietsteigerung: Das genau ist eines der hässlichen Gesetze des großstädtischen Lebens.

Gegen diese Entwicklung, die in Thierses Heimatbezirk wie in einem Großversuch zu beobachten war, gibt es heute viel ziemlich machtlosen Widerstand. Der sammelt sich hinter dem sperrigen Begriff Gentrifizierung – und vor allem unterhalb der etablierten Politik. Ausgerechnet Thierses Berliner Parteifreunde, begonnen mit der früheren Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer bis zum Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, haben das Problem mit den preiswerten Wohnungen jahrelang weggeredet. Dass Thierse mal lautstark eine andere Mietenpolitik angemahnt hätte, haben seine Genossen jedenfalls nicht gehört.

Erst langsam – für viele zu langsam – tut sich was. Ein grüner Stadtrat geht gegen illegale Wohnungsvermietung an Touristen vor, ein Thema, mit dem der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel entschlossenen Mundes Wahlkampf gemacht hat. In der SPD diskutieren sie über eine neue Immobilienpolitik, die die „Stadtrendite“ berücksichtigt – den kulturellen oder sozialen Wert von Bauprojekten über den reinen Verkaufserlös stellt. Stadtentwicklungssenator Michael Müller verspricht für die kommenden Jahre bis zu 9000 Wohnungsbaugenehmigungen. Angesichts von 40 000 Menschen mehr in jedem Jahr in der Stadt kann man sich ausrechnen, dass es enger wird in Berlin.

Alle spüren jetzt die Macht des Geldes in einer Stadt, in der das Geld lange nicht so wichtig war, im Westen nicht und im Osten nicht. Denn trotz aller Start-ups, Kreativunternehmer, Modemacher, Spitzenköche, Anwälte, die in der Stadt Werte und Mehrwerte erschaffen, lebt Berlin von importiertem Geld: von Touristen, von wohlhabenden Spaniern oder Amerikanern, die ihren erwachsenen Kindern das Studium der Lebenskunst in der Immer-noch-Hauptstadt der Hipster, Jungmusiker, Amateurfilmemacher, Endlos-Blogger, Clubbetreiber, Möchtegern- und Lebenskünstler bezahlen.

Und da ist das importierte Geld aus dem Länderfinanzausgleich, mit Baden- Württemberg als drittstärkstem Einzahler. Auch davon lebt Berlin. Ob der Senat daraus die richtigen Folgen zieht – darüber ist zu streiten, nicht über Brötchen.

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