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Meinung: Stasi und FKK

Das unselige Comeback der DDR-Klischees / Von Lutz Rathenow

Immer kurz vor dem 3. Oktober erinnern wir uns gern daran, was wir mit der DDR überwunden haben. Kurz vor dem 13. August und am 9. November, also zum Tag des Mauerbaus und dem des Mauerfalls, wird die repressive MAUER-DDR kurz und eindringlich belebt. Mit Erinnerungen an ein brutales Grenzregime und kühne Fluchten und den alljährlichen Spekulationen über die gültige Zahl der Mauertoten.

Dazwischen lebt die DDR virtuell ganz entspannt im Internet durch diverse Versandhandlungen und Diskussionsforen weiter und blüht in Hotels oder Tagungsstätten auf, in denen Evangelische Akademien oder Landeszentralen für Politische Bildung sie für eine Wochenendtagung reaktivieren, etwa zum „politischen Lied in der DDR“ mit Zeilen wie „Früher gab es Hula-Hoop, heute ham wir den Oktoberklub!“ oder „Auch Kaffeesahne gibt es wieder, drum fehlen uns kritische Lieder!“

Währenddessen strömen Besucher aus aller Welt ins kleine, aber geschickt inszenierte DDR-Museum in Berlin, um sich die GANZ NORMALE DDR anzusehen. Ein Neubaublock-Land mit kastenförmigem Wohnraum-Dasein zeigt das neu eröffnete Museum auf privatwirtschaftlicher Basis und ohne Fördermittel. Es versucht das Leben hinter den Fassaden zum Fühlen und Betrachten darzubieten, meist in aufziehbare Schubkästen verpackt. Diese DDR muss sich rechnen, die Macher gehen von einer Verweildauer von einer Stunde aus. Der kommerzielle Plan geht auf: viele Nie-DDR-Bürger wollen da hinein, wo viele Landes-Einwohner früher hinauswollten – in die DDR.

Die DDR ist längst zum Markenprodukt geworden, genauer: zu einer Marke, hinter der sich verschiedene Produkte und Erwartungen verbergen. Neider und Konkurrenten kämpfen gerade um DIE DURCHSCHNITTLICHE DDR . Es scheint viele sortierte DDR-Gerümpel-Ausstellungsflächen im Lande zu geben, die darauf bestehen, viel DDRiger zu sein als das neue Museum in Berlin. Woanders riecht es noch mehr nach dem Staat außer Dienst, der früher gern schon mal Geruchskonserven von Staatsfeinden nahm, um die durch Hunde besser verfolgen lassen zu können. Heute würden die Staatsfreunde der Deutschen Un-demokratischen Republik gern Konserven vom Trabbiqualm, dem Grobstaub rußiger Kohlekraftwerke, vom herben Putzmittel Ata inhalieren, um sich ganz wie früher zu fühlen.

Diese GERUCHS-DDR findet ihre Steigerung in der ARMEE-DDR , die wie jede Ansammlung junger Männer strenger riecht, aber die DDR-Armee hatte da ihre speziellen Varianten. Gut nacherlebbar auf einer zunehmenden Zahl ehemaliger Panzerübungsplätze, auf denen ehemalige Offiziere und Unteroffiziere Fahrunterricht oder Panzerausfahrten für den Laien praktizieren. Und natürlich wieder für gutes Geld. Sie können uns das noch als friedliche Vision verkaufen, wie militärische Standorte zu Freizeitstätten umgewidmet werden. Und nach der Ausfahrt mit den russischen Modellen kommt einem jede nostalgische Fahrt in einem alten Trabant rüttelarm und umweltfreundlich vor. Es gibt auch mindestens einen ehemaligen Atombunker zum Übernachten – die ATOMKRIEGS-DDR für den Abenteuerurlaub, der Tourist heute muss nicht einmal im Schutzanzug schlafen.

Eine Historikerkommission mahnte kürzlich dagegen mehr ALLTAGS-DDR für die politische Aufarbeitung an. Doch wessen Alltag meint hier der Alltag? Den eines gerade Inhaftierten? Den seines Vernehmers? Den des Bauern? Was hat der Alltag des Pfarrers mit dem des Zerspaners an seiner Drehmaschine zu tun? Alltag ist ein letztlich hilfloser Begriff – erst wenn der Alltag verlassen wird, markieren sich seine Grenzen. Erst der Nicht-Alltag zum Beispiel, eine Art von ungewöhnlichem bis widerständigen Verhalten, zeigt das Normale, Durchschnittliche. Wahrscheinlich meinte man das mehrheitsfähige durchschnittliche Erleben, und damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: Was und wer stellt diesen Durchschnitt dar? Typische Charaktere unter typischen Umständen, und wenn das gesellschaftliche Vorwärtsweisende noch dazukommt, sind wir bei der auch in der DDR vertretenen Definition des SOZIALISTISCHEN REALISMUS . In der Kunst. Es gibt keinen Alltag, in dem sich alle erkennen. Nur einige Produkte, die Gemeinsamkeiten beschwören. Ein Kochbuch über die DDR-Küche ist möglicherweise so erfolgreich, weil es die Unsicherheit der Käufer verrät, gar nicht so genau zu wissen, was das Spezifische der DDR-Küche gewesen sein soll – neben der weitgehenden Abwesenheit bestimmter Obst- und Gemüsesorten im Handel.

Die DDR wird so täglich neu reaninmiert und das Erinnerte und das eingebildet Erinnerte (gespeist von der Angst, an wichtigen Sachen vorbeigelebt zu haben) verschmelzen zu einem Mischmasch mit politischen Deutungsmomenten. Die sind in jeder Mini-DDR unterschiedlich eingemixt. Im Grunde kämpfen verschiedene Deutungsgemeinschaften um öffentliche Präsenz. Zum Beispiel die U-HAFT-DDR in der Gedenkstätte Hohenschönhausen – sie ist gar nicht fiktiv und für Besucher höchst eindrücklich. Sie erinnert daran, dass eine Diktatur nicht deshalb eine Diktatur ist, weil 95 Prozent der Bevölkerung verhaftet werden, sondern weil jederzeit jeder der 95 Prozent verhaftet werden konnte. Die Vorstellungswelten der Verhafter, von denen genügend heute noch neben dem Komplex wohnen, sind andere. Sie würden die Gedenkstätte gern wegbeamen (ein Wort, das sie zu DDR-Zeiten nie benutzten) und bestehen auf einer FRIEDENS-DDR , für die sie immer gekämpft und Staatsfeinde verhört und höchstens ein klitzekleinwenig psychisch unter Druck gesetzt haben. Sie kämpfen am energischsten für die Marke GUTE-DDR , der bessere deutsche Staat, das Bollwerk gegen den West-Imperialismus, das MODELL FÜR GANZ DEUTSCHLAND .

Das sagen sie laut und nicht immer ganz deutlich – da kommt es dann zum Streit und es knirscht heftig, wenn die verschiedenen DDRs öffentlich miteinander kollidieren. Denn auch die GUTE-DDR hat ihre Helden und ihre Tageszeitung „Junge Welt“, die immer noch nicht bemerkt hat, dass eine Monatsschrift für die Führer der Hitlerjugend genauso hieß.

Wer zählt die Verbände und Vereine, die die Hinterbliebenen der DDR heute vertreten? Die der Opfer, die der Täter und die jener Interessengemeinschaften dazwischen, die sich um Briefmarken oder die Münzen des Landes kümmern. So viele DDRs – steht der Plural schon im Duden? Die GUTE-LAUNE-DDR durchwandert weiter das Fernsehen und lebt als SCHLAGER-DDR , ROCK-DDR und FILMKUNST-DDR weiter. Das gähnend langweilige DDR-Fernsehprogramm gerät zur sprudelnden Quelle für Collagen, die sich eine DDR aus Zitaten neu herbeistylen. Man verdichte 40 Jahre, blende das Unsägliche und normal Langweilige aus – und kommt zu einem DDR-Konzentrat, das staunen lässt. Interessanterweise spielen Bereiche, in denen die DDR Spannendes in der Kunst hervorbrachte, keine Rolle in diesem Reigen: Jazz, Puppenspiel, Bücher bestimmter Autoren, Theaterstücke, die Fotokunst der achtziger Jahre – das alles bleibt Insidertipp. Selbsttäuschung und Erinnerungsvitalität bilden eine dialektische Einheit – um im DDR-Deutsch zu bleiben – die beide einander bedürfen. Dafür gibt es im Fernsehen auch die STASI-DDR , mal eine Aufarbeitungsreportage lang oder als Krimi-Motiv. In denen haben Mafia, KGB und Stasi-Seilschaften Dauerkonjunktur und lösten als Eastern den aus der Mode gekommenen Western längst ab. Außerhalb des Genres ist die STASI-DDR düster und anstrengend.Und besonders die West-Stasi-DDR, die den West-Politiker frech als IM geführt haben will. Hat das nun gar nichts zu bedeuten? Da geht man lieber zu einer DDR über, die leichter deutbar bleibt. DAS KINDERGARTENLÄNDLE , politisch ein wenig verblödet, aber kostenfrei rundum versorgt und ohne Arbeitslosigkeit – diese DDR kontrastiert mit einem Staat der chronisch unerfüllten Reisesehnsucht. Die FKK-DDR der Nacktbadetradition steht gegen jene der geplanten Internierungslager für den Krisenfall. Die DDR war eben auch ein Land unausgelebter Möglichkeiten, eine Planwirtschaft (viel Plan, weniger Wirtschaft). Was aus der DDR alles hätte werden können, darüber müssen die Meinungen noch schroffer auseinander gehen als über die Frage, was die DDR war. Die SPORT-DDR steht für immer gegen die DOPING-DDR - der Kampf um Präsenz auf dem Markt und im Bewusstsein der Menschen geht weiter. Auch nach dem Tag der Einheit, dem der Maueröffnung und dann zu Weihnachten, wo es garantiert das DDR-Verschenk-Paket geben wird. Da müssen sich die Spreewälder Gurken und die Wie-hieß-sie-doch-Süßtafel den Geschmack eines ganzen Staates aufbürden, um ihn zu vertreten. Wie viele ließen sich ihre DDR schon urheberrechtlich schützen?

Der Autor ist DDR-Dissident und Schriftsteller. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Harald Hauswald das Buch „Gewendet – vor und nach dem Mauerfall. Fotos und Texte aus dem Osten“, erschienen im Berliner Jaron Verlag.

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