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Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seine Ehefrau Elke Büdenbender, aufgenommen im August 2008 auf dem Gipfel der Wilden Kreuzspitze in den Pfunderer Bergen inSüdtirol.

© dpa

Steinmeiers Entschluss: Menschen wie wir

Die Rückzüge von Roland Koch oder Ole von Beust haben öffentlich gemacht, dass Politik ihre Protagonisten heute schneller verschleißt als die Politikergenerationen, deren privates Leben unsichtbar war. Frank-Walter Steinmeiers Entscheidung ist selbstverständlich, und doch ist sie auch mutig.

Es ist manchmal unvermeidlich, dass private Entscheidungen von Spitzenpolitikern im öffentlichen Licht stehen, weil sie politische Folgen haben. Frank-Walter Steinmeier zieht sich zurück, um seiner schwer erkrankten Frau zu helfen. Das ist großartig und selbstverständlich; es gibt wohl kaum jemanden in diesem Land, der Elke Büdenbender in diesen Tagen nicht tausend gute Wünsche schicken möchte und auf die baldige Rückkehr des SPD-Fraktionsvorsitzenden in sein Amt hofft.

Steinmeier hat seinen vorübergehenden Rückzug mit der Bitte verbunden, die Öffentlichkeit solle die Privatsphäre seiner Familie in dieser Situation respektieren. Man kann optimistisch sein, dass sich die meisten öffentliche Akteure daran halten, am wenigsten vermutlich diejenigen, die das öffentliche Mitgefühl am privaten Schicksal besonders ausgiebig beschwören. Aber gestern ist keine Stunde vergangen, bis die ersten Betrachtungen über die politische Sphäre Steinmeiers fällig waren. Er gehe in politisch schwieriger Situation und mit ihm ein Bollwerk gegen die SPD-Linke. Spekulationen über die Einbußen an Macht und Einfluss in so einer Situation sind gar nicht großartig, aber selbstverständlich. Wenn ein Spitzenpolitiker aus privaten Gründen sein Amt plötzlich räumt, entstehen natürlich Lücken. Wie wahrscheinlich ist es, dass niemand in diese Lücken stoßen will?

Die mediale Öffentlichkeit hat den Zugriff auf den persönlichen Faktor in der Politik unendlich gesteigert. Den privaten Schonraum gibt es kaum noch, in dessen Schutz der demokratische Spitzenpolitiker der Nachkriegsdemokratie jeden Konflikt zwischen privater und öffentlicher Verantwortung verbergen konnte. Ein „Mensch“ soll der Politiker sein, heute wie damals. Damals freilich einer, der die Zähne zusammenbeißt, nie krank ist und eine Frau hat, die klaglos das familiäre Hinterland allein meistert. Hinter diesem Schutzwall konnten Strauß, Brandt, Genscher oder Schmidt intakte oder scheinintakte Ehen führen, gesund oder krank sein und ihre Herzschrittmacher und Bypässe öffentlich mitteilen, wenn der Krankenhausaufenthalt vorbei war und ihre Machtfähigkeit mithin außer Zweifel stand. Das war scheinehrlich, aber funktional.

Die Männerbilder, die dieses Politikerbild geprägt haben, sind Vergangenheit. Die öffentlichen Scheinehrlichkeiten aber nicht. Denn der Konflikt zwischen privater und politischer Verantwortung bleibt in der Sphäre der Spitzenpolitik unvermeidlich, auch wenn Ehescheidungen oder Homosexualität längst toleriert werden. Der Berufspolitiker steht unter einem Tempo- und Zeitregiment, das sich mit dem familiären Rhythmus nicht verträgt. Das mediale Bedürfnis nach Authentizität produziert Einblicke in Politikerleben, die den Privatmenschen zeigen, den der Politiker öffentlich dargestellt sehen will. Stets mit dem Risiko, dass die selbst inszenierten Bildern zur Falle werden können, weil der Zeitgeist, der eben noch den sinnenfrohen Hedonisten liebte, nun nach den Pflichtmenschen ruft. Die Personalisierung der Politik ist für die Berufspolitiker anstrengend und risikoreich, für die Bürger eine Quelle neuen Argwohns. Denn wie man damals ahnte, dass der starke Mann im öffentlichen Amt nur die halbe Wahrheit ist, so weiß man heute, dass der Hochglanz-Familienvater auf dem Ministersessel ebenso gut eine halbe Lüge sein kann. Die öffentliche Doppelmoral hat, mit anderen Worten, nur ein anderes Gesicht.

Es hat sich nichts daran geändert, dass die Konkurrenzverhältnisse auf den Höhen der Macht nur wenig Rücksichtnahme kennen. Die Rückzüge von Roland Koch oder Ole von Beust haben öffentlich gemacht, dass Politik ihre Protagonisten heute schneller verschleißt als die Politikergenerationen, deren privates Leben unsichtbar war. Steinmeiers Entscheidung ist selbstverständlich, und doch ist sie auch mutig. Weil er und seine Frau den öffentlichen Einblicken in ihr privates Leben immer enge Grenzen gesetzt haben, ist ihnen für die nächsten Wochen ein privater Schutzraum ganz besonders zu wünschen.

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