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Sterbehilfe: Die Richter haben eine pragmatische Wertung getroffen

Kein Gesetz und keine ethische oder religiöse Maxime ist stärker als der Wille des Patienten. Dies hat das Urteil klargestellt. Es ist wahr, das Leben hat dadurch etwas von seiner heiligen Unverfügbarkeit eingebüßt. Aber er ist alles, was wir haben.

Wenn das Wort vom Härtefall je eine Berechtigung hatte, dann hier. Eine Frau Mitte siebzig, fünf Jahre im Wachkoma, ausgezehrt, darbend, wundgelegen. Ein morscher Mensch, todgeweiht, am spärlichen Leben gehalten nur durch den Nährstoff einer Magensonde. Um ihn zu wiegen, spannte man ihn in ein Gestell. Ob jemand Qualen leidet, nichts mehr fühlt oder irgendwas dazwischen, keiner weiß es. Sicher ist nur, dass es so weitergehen und irgendwann zu Ende sein wird.

Das Geschehenlassen ist vielen unerträglich geworden, weil der Abschied dann kein Abschied mehr ist, sondern das kalte Freischalten eines Menschenlebens in die Endlosschleife der Apparatemedizin. Für das Leben Erwartende, Hoffende kann sie ein Segen sein, für Moribunde und ihre Angehörigen kündigt sich darin nur allzu oft die Vorhölle an. In dieser Schicksalszone manövrieren seit jeher Ärzte und Juristen zwischen Patienten, Betreuern und Verwandten; ihre Aufgaben sind nur schwieriger geworden, seit die Technik es vermag, mit dem letzten Funken Leben einen bedrohlich langen Weg in den Tod auszuleuchten. Der Bundesgerichtshof, das ist die zentrale Botschaft des gestrigen Urteils, möchte den Beteiligten in dieser Situation helfen, möchte Halt und Orientierung geben auf unsicherem Grund – was er nicht möchte ist, aktive Sterbehilfe zu erleichtern, sie zu fördern oder ihr irgendwelche Rechte einzuräumen. Es geht bei dem Urteil nur um Respekt vor Höchstpersönlichem.

Hard cases make bad law, lautet ein britisches Juristensprichwort, harte Fälle schaffen schlechtes Recht. Mancher mag daran Anstoß nehmen, dass die Richter in Karlsruhe die Trennlinie zwischen aktivem Tun und Unterlassen aufgeweicht haben. Doch hat der Härtefall auch gezeigt, dass die fein gewirkten dogmatischen Grenzen der Konfrontation mit dem Schicksal nicht standhalten. Es wäre deshalb ebenfalls fragwürdig, sie gewissermaßen künstlich am Leben zu erhalten, nur um den Preis des Symbols, dass jede Form tätlichen Tötens verboten sein soll.

Tatsächlich ist es keine Frage, dass der Medizinrechtler Wolfgang Putz mit seinem Rat, den Schlauch zu kappen, einen Tötungsvorschlag unterbreitet hatte, dem die Tochter folgte. Aber es war eine – versuchte – Tötung, kein strafbarer Totschlag, und es gab nur einen Patienten ohne Hoffnung und kein Opfer. Und es gab, wichtiger noch als alles, den erklärten Wunsch, eine aussichtslose medizinische Behandlung abzubrechen. Ob dies ein Schnitt ist oder das Umlegen eines Hebels am Beatmungsgerät, ist an diesem allerletzten Ende zweitrangig.

Das geschehene Unrecht reduziert sich darauf, dass es für Patientin wie Anwalt zumutbar gewesen wäre, eine gerichtliche Klärung abzuwarten. Aber das reicht eben nicht, um jemanden wegen eines Tötungsdelikts zu verurteilen. Die Grenze zur Tötung auf Verlangen bleibt gewahrt und die Beihilfe zum Suizid straflos wie eh und je. Statt sich weiter in überkomplexer Theorie zu verirren, haben die Richter am Freitag eine pragmatische Wertung getroffen, die sie im Gesetz verankern können. Nicht mehr und nicht weniger war ihre Aufgabe. Kein Gesetz und keine ethische oder religiöse Maxime ist stärker als der Wille des Patienten. Dies hatte der Bundestag beschlossen, und das Urteil hat es klargestellt. Es ist wahr, das Leben hat dadurch etwas von seiner heiligen Unverfügbarkeit eingebüßt, und jener mündlich oder schriftlich niedergelegte Wille ist manchmal weniger stark und überzeugend, als er daherkommt. Aber er ist alles, was wir haben.

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