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Sterbehilfe: Wenn Töten Helfen heißt

Das BGH-Urteil zur Sterbehilfe rechtfertigt auch "aktives Tun", um den Willen des Patienten durchzusetzen. Damit wird eine Grenze überschritten.

Ist das das Land, in dem wir leben wollen? Die 18-jährige Janine hat Liebeskummer. Ihr Freund, mit dem sie seit vier Jahren zusammen war und den sie heiraten wollte, hat sie verlassen. Janine leidet, weint, isst kaum noch etwas. Dann beschließt sie, sich umzubringen. Mit einer Rasierklinge schneidet sie sich die Pulsadern auf. In letzter Minute wird sie von ihrer Mutter gefunden. Doch Janine hat viel Blut verloren. Im Krankenhaus wird sie sofort an einen Tropf angeschlossen. Ihre beste Freundin aber schneidet in einem unbewachten Moment den Versorgungsschlauch durch. Janine stirbt.

Ihre Familie ist außer sich, verklagt die Freundin. Nach einem wochenlangen Prozess schließlich wird die Freundin freigesprochen. Sie konnte durch ein Schreiben Janines zweifelsfrei nachweisen, dass es deren Wille gewesen sei, für den Fall, dass ihr Suizidversuch schief geht, nicht lebensverlängernd behandelt zu werden. Daraufhin lobte die Bundesjustizministerin das Urteil, weil es dem „Selbstbestimmungsrecht des Menschen einen besonders hohen Stellenwert“ eingeräumt habe. Der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen müsse in allen Lebenslagen beachtet werden. „Es gibt keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Menschen. Niemand macht sich strafbar, der dem explizit geäußerten oder dem klar festgestellten mutmaßlichen Willen des Patienten, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, Beachtung schenkt.“

Patientenwille im Zentrum der BGH-Entscheidung

Der Fall Janine ist konstruiert, die Zitate der Bundesjustizministerin sind dagegen echt. Durch sie hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ihre Genugtuung über das jüngste Sterbehilfe-Urteil des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck gebracht. Interessant aber ist, dass der Fall Janine mit diesem Urteil durchaus in Übereinstimmung zu bringen ist.

Suizid ist in Deutschland nicht strafbar, daher kann auch Beihilfe zum Selbstmord nicht geahndet werden. Überdies entschieden die Richter in Karlsruhe: Wenn ein Patient in einer schriftlichen oder mündlichen Verfügung eine lebensverlängernde Behandlung ablehnt, dann muss die Behandlung eingestellt werden. Egal ob bei dem Behandlungsabbruch etwas aktiv geschieht oder unterlassen wird. Die Grenze zur Tötung wird durch das Durchtrennen des Versorgungsschlauches nicht überschritten. Lebensverlängernde Maßnahmen dürfen auch dann abgebrochen werden, wenn der Sterbevorgang noch nicht begonnen hat.

Sind Selbstbestimmungsrecht und Patientenwille die obersten Handlungsmaximen, dann kann der Behandlungsabbruch auch lebenserhaltende Maßnahmen betreffen, mit deren Hilfe der Patient wieder gesund geworden wäre - wie zum Beispiel Bluttransfusionen. Der Patient muss also nicht irreversibel, sondern kann auch heilbar erkrankt sein. Die Vorsitzende Richterin am BGH hat den Patientenwillen ins Zentrum ihrer Urteilsbegründung gestellt und nicht mehr nach der konkreten Krankheitssituation unterschieden. Die Willensentscheidung des Patienten hat unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung bindende Wirkung, auch bei einer Krankheit, die nicht unaufhaltsam zum Tode führt.

Dass Janine erst 18 war und das Leben noch vor sich hatte, spielt juristisch ebenfalls keine Rolle. Das Gesetz gilt für jeden gleich, unabhängig von seinem Alter und der Größe seines Leidens. Janine hatte einen klaren Willen und das Selbstbestimmungsrecht. Warum meine ich dennoch, dass ihre Freundin den Versorgungsschlauch nicht hätte durchtrennen dürfen?

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