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Sigmar Gabriel (SPD).

© dpa

Steuerdebatte der SPD: Von Knallfröschen und Hasenfüßen

Sigmar Gabriel hat ein paar Ideen zur Steuerpolitik geäußert und so ganz nebenbei gesagt, er könne auch Kanzler. Damit hat er die Wahlkampfschnarcher geweckt. Trittin, Rösler und einige andere sind schwer empört, doch zur Sache beizutragen haben sie nichts.

Eine „knallharte Panikreaktion“ attestiert also der gelernte Arzt Philipp Rösler dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel wegen dessen Äußerungen zur Steuerpolitik, und eine „Wahllüge mit Ansage“. Das wirkt schon ein wenig putzig, denn der Einzige, der Anlass zur Panik hätte, ist Rösler selbst mit seiner schwindsüchtigen Altherrenhotelierpartei; aber der FDP fällt ja gar nichts mehr ein, nicht mal eine Panikreaktion.

Auch der Gernegroßgrüne Jürgen Trittin nimmt’s nicht so genau, wenn sich im politischen Gestrüpp ein Kantholz drechseln lässt. „Hasenfüßig“ verhalte sich die SPD, hat der Naturfachmann erkannt. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil er sich doch für den größten Finanzversteher seit Karl Schiller hält, und es ist auch, ebenso wie bei Rösler, ein Musterbeispiel für die politische Oberflächlichkeit, mit der die Leute in die Parteienverachtung getrieben werden. Kein Wort zur Sache, weder von Rösler noch von Trittin, selbstverständlich auch nicht von den feixenden Linken und schon gar nicht von der aseptischen Union.

Ob es geschickt war, was Gabriel da tat, zumal in diesem Moment, ist eine ganz andere Frage, und was er bezweckt, darüber lässt sich schön spekulieren. Aber zuhören könnte man ihm schon, und man konnte es auch, unter anderem am Montagabend bei einer „Handelsblatt“-Veranstaltung vor lauter Mittelständlern im Ritz Carlton am Potsdamer Platz. Auswärtsspiel, könnte man dazu sagen.

Aber statt mit kontrollierter Defensive anzutreten, stürmte Gabriel munter voran, und das klang alles andere als hasenfüßig oder panisch. Mag sein, dass er nebenbei oder sogar hauptsächlich eine eigene Agenda verfolgt, aber er war so klar wie das Sprudelwasser auf seinem Stehtisch, und das ist ja schon mal was, angesichts des antipolitischen Wahlkampfgeschnarches derjenigen, die ihn, aus dem Schlaf aufgeschreckt, kurz angebellt haben.

Gabriels Rechnung ist eigentlich einfach und auch gar nicht so neu oder originell. Ob sie ernst gemeint ist, also ob sie bezahlt werden würde, politisch eingelöst von einem sozialdemokratischen Kanzler, bleibt natürlich bis auf Weiteres völlig offen. Aber Tatsache ist nun mal, dass die dreisten Steuervermeider wie Google und Apple und die noch dreisteren Steuerhinterzieher wie Hoeneß den Staat Milliarden kosten, seriösen Schätzungen zufolge sind es 160, Jahr für Jahr. Gabriels vermeintliche Pirouette, Wahllüge, Panikreaktion, Hasenfüßigkeit sieht so aus, dass er Folgendes sagt: Wenn es gelänge, an einen Teil dieser Milliarden zu kommen, „warum sollten wir dann nicht die unteren und mittleren Einkommen entlasten?“

Ja, warum eigentlich nicht? Eine naheliegende Antwort wäre: weil noch jeder Finanzminister gerne alles eingesteckt und nur ungerne irgendetwas wieder herausgerückt hat in Form einer Steuersenkung, Hoteliers einmal ausgenommen. Aber das wäre nur eine Unwahrscheinlichkeitsrechnung, keine sachliche Erwägung. An keiner Stelle hat Gabriel gesagt, dass er die von der SPD angekündigte Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent kippen will, im Gegenteil: „Diese Steuererhöhung kommt 2014, wenn wir regieren.“ Es ist wirklich nicht zu erkennen, was daran eine angekündigte Wahllüge sein soll oder eine Distanzierung vom Gerechtigskeitsthema. Alle anderen aber, und dazu zählen auch die SPD-Linken, suggerieren alles andere.

Gabriel sagt auch, wie er an die Milliarden herankommen will, und dabei stellt sich heraus, dass seine Äußerungen keineswegs ein vorauseilendes Zugeständnis an die Union als Vorbereitung für eine große Koalition sind, sondern eigentlich ein Volltreffer, mitten rein in die Phrasendreschmaschine der Volkssediermeisterin Angela Merkel. Es ist nämlich kein Naturgesetz, dass Onlinemilliardäre und andere Großverdiener kaum oder keine Steuern in Deutschland zahlen, sondern politische Nachlässigkeit, vielleicht auch Feigheit oder Schlamperei.

Merkel hätte längst viel energischer darauf dringen können, dass in der EU gleiche Steuern erhoben werden, um die groteske Verzerrung zu beenden; dass die erreichbaren Steueroasen ausgetrocknet werden, und zwar in Verbindung mit dem großen Pfand, das Merkel in der Hand hielt und noch hält: den Milliardenhilfen, die sie in den EU-Kreislauf pumpt. Aber die Kanzlerin hat offenbar nicht nur das ganze Land in einen politischen Tiefschlaf versetzt, sondern sich selbst gleich dazu. Darauf mal knallhart aufmerksam zu machen, ist jedenfalls nicht das Verkehrteste.

Natürlich musste Gabriel wissen, dass seine freundliche Einladung zum böswilligen Missverständnis scheinempört angenommen würde. Man kann deshalb davon ausgehen, dass er den Knallfrosch, den eigentlich Peer Steinbrück angezündet hatte, ganz bewusst in seinen Fingern explodieren ließ. Er mag eben gerne ein bisschen kraftmeiern, zumal er einer derjenigen ist, die auch geradeaus um die Ecke denken können – selbst wenn er damit ins Risiko läuft, von den eigenen Leuten abgeräumt zu werden. Aber diese Aussicht genießt er ohnehin schon.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass er im selben Moment, in dem er den Steuertopf noch mal aufmacht, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nach dieser Wahl für ausgeschlossen erklärt, und zwar sowohl als Koalition, als auch in der minderheitstolerierten Regierungsform. Beides sei, wegen des erbarmungswürdig verfeindeten Zustands der Linkspartei, unverantwortlich dem Land gegenüber – und der eigenen Partei.

Damit steht zweierlei fest: Bei einer großen Koalition mit einer kleineren SPD ist mindestens Steinbrück weg, es sei denn, nach der Wahl ist auch Merkel weg, und bei Rot-Rot-Grün ist in jedem Fall Gabriel weg, oder man dürfte ihn doch noch zu Recht einen Wahlbetrugsankündiger nennen.

Noch so ein Knaller ist, was Gabriel dazu sagt, ob er nicht doch Kanzler werden will, irgendwann, und ob er das, Kanzler, überhaupt kann. Da windet er sich wie ein niedersächsischer Zitteraal, sagt dann schließlich, nur leicht genervt: „Natürlich traue ich mir zu, eine Regierung zu führen!“ Natürlich, was denn sonst. Aber natürlich geht das alles nicht so einfach, weder das mit den Steuern, noch das mit dem Regieren, und ja: Er probiert gerade ein bisschen was aus, weil es für die SPD nicht so super läuft. Also rührt er den Leim noch mal um, bevor er endgültig hart wird.

Eines lässt sich jedenfalls sagen: Substanzloser ist der Wahlkampf dadurch nicht geworden, und langweiliger schon gar nicht.

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