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© Mike Wolff TSP

POSITIONEN: Stolpe war stets ein Mann der Kirche

IM – ja oder nein: Das darf nicht die einzige Frage sein

In Brandenburg ist die Diskussion über die Glaubwürdigkeit der Person und der Rolle Manfred Stolpes neu entflammt. Nun hat auch der Professor für Neuere Geschichte an der Münchener Bundeswehruniversität, Michael Wolffsohn, Öl ins Feuer gegossen. In seinem jüngsten Namensbeitrag „Der Bund der Vergessenden“ (PNN vom 20. August 2011) ist er allerdings entschieden zu weit gegangen. Seine abstruse Frage, ob Stolpe sich für seinen Glauben kreuzigen lassen würde, verletzt die Gefühle zahlreicher Mitglieder der evangelischen Kirche.

Wolffsohn bietet den Sturz der Tyrannen im antiken Athen als Beurteilungsmuster für die Entwicklungen in den letzten zwei Jahrzehnten im Osten Deutschlands an. Um das befürchtete Chaos nach der Friedlichen Revolution zu verhindern, habe man auf die Vergangenheitsbewältigung verzichtet. Die Haupttäter wurden angeklagt; Mitmacher und Mitläufer habe man gewähren lassen. Die Ostdeutschen befänden sich auf dem Stand der Westdeutschen von 1965 – zwei Jahrzehnte nach Kriegsende. Der „Brandenburger Weg“ stehe für Verdrängung, Vergessen und Mitläuferkultur. Personalisiert werden die Einsichten von Herrn Wolffsohn am Beispiel von Manfred Stolpe.

Diese Argumentation ist nicht neu. Doch wird sie hier mit besonderer Schärfe vorgetragen. Man kann es wahrscheinlich nicht oft genug sagen: Manfred Stolpe war stets ein Mann der evangelischen Kirche, die maßgeblich zum friedlichen Zusammenbruch des SED-Regimes beigetragen hat. Er war weder SED-Mitglied noch Funktionsträger des DDR-Systems. Mir persönlich sind keine Menschen bekannt, die unter den Folgen des Handelns von Manfred Stolpe gelitten haben. Das Gegenteil ist der Fall. Regelmäßig erzählen mir Menschen, dass Manfred Stolpe für sie die rettende Adresse war, als sie vom DDR-Regime drangsaliert wurden.

Es gibt keine institutionelle Kontinuität zwischen dem Land Brandenburg und der DDR. Wer dies unerwähnt lässt und die fundamentalen Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur übergeht, der verletzt die Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs, denen der Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens einiges abverlangt hat. Die Anstrengungen zur Aufarbeitung des SED-Unrechts im öffentlichen und im persönlichen Bereich lassen sich nicht einfach abtun. Allein die Existenz der Gauck-Behörde verbietet einen schlichten Vergleich der Aufarbeitung der Naziverstrickungen nach 1945 mit der Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Immerhin hat Manfred Stolpe sich seit Anfang der 90er Jahre der öffentlichen Diskussion um seine Person stellen müssen und gestellt und muss heute mit unterschiedlichen Interpretationen seiner Glaubwürdigkeit leben.

Wer unterscheidet, hat bekanntlich mehr vom Leben. Es wäre um der Aufarbeitung und der Wahrheit willen wichtig, genauer hinzusehen. Zwanzig Jahre nach der Auflösung des DDR-Regimes brauchen wir unaufgeregte Gespräche mit der Bereitschaft zur Differenzierung. Wer war unter welchen Umständen auf welche Weise in das System des DDR-Staates eingebunden und hat dabei welche Form von Schaden angerichtet? IM – ja oder nein, kann nicht die einzige Frage sein. Wir brauchen neue Fragestellungen, nicht effektheischende Antworten, die die alten Fragen wieder und wieder aufwerfen, ohne neue Erkenntnisse zu liefern.

Die Frage, ob sich Manfred Stolpe für seinen Glauben hätte kreuzigen lassen, weise ich in aller Entschiedenheit zurück. Es ist abstrus zu behaupten, dass nur eine Märtyrerexistenz ein glaubwürdiges Christsein darstellt. Dies verhöhnt alle Christen, die in der Nachfolge Jesu ein glaubwürdiges Leben in den Spannungen und Uneindeutigkeiten menschlicher Existenz wagen. Eine solche Argumentation widerspricht zutiefst dem Evangelium. Christus hat gelitten, um Frieden zu schaffen, damit das Kreuzigen und Gekreuzigtwerden endlich ein Ende hat.

Der Autor ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

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