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Die Bilder an der East Side Gallery repräsentieren eher den Umbruch nach der Wende, nicht die Teilung selbst.

© dpa

Streit um die East Side Gallery: Mehr echte Mauer muss her

Das Gedenken an die deutsche Teilung ist oftmals ein für Touristen reproduzierter Fake, auch an der East Side Gallery. Der Widerstand gegen den Abriss der nachcolorierten Mauerstücke macht dabei umso deutlicher: Berlin braucht mehr Vergangenheit zum Angucken und Nachfühlen.

Die Mauer muss her! Nicht einmal Erich Honecker hätte sich erträumt, dass dieser Ruf plötzlich durch Berlin erschallt, gut zwei Jahrzehnte nach dem Abriss des steinernen Vorhangs. In einer Stadt, in deren Leben das Trennende noch in feinen Linien eingraviert ist (Linien, die kaum sichtbar, aber schon in Worten erspürbar sind), verteidigen plötzlich Demonstranten aus der neuen Mitte die letzten Bruchstücke der Ost-West-Vergangenheit; und also muss das einst verhasste Bauwerk doch stehen bleiben an der East Side Gallery und darf nicht durchlöchert werden von irgendwelchen Stadtträumereien großer Investoren und kleiner Politiker. Es hat sich etwas geändert im Umgang mit Berlins Vergangenheit – sie wird endlich Gegenwart. Nicht im Stadtbild, dafür ist es wieder mal zu spät, aber im Kopf.

Wer durch Berlin läuft, findet die deutsche Teilung vor allem als Fake wieder. An der aktuell umkämpften Mauergalerie in Friedrichshain gibt es postkartenhaft nachcolorierte Bilder, die den Umbruch nach dem Mauerfall illustrieren, nicht die Trennung selbst. In der Gedenkstätte Bernauer Straße müht man sich, die Zone des Todes, in der allein in Berlin mindestens 136 Menschen ihr Leben ließen, zumindest in ihrer Breite und mit Original- Mauerteilen nachzuempfinden – aber auch hier wird künstlerisch nachgebaut, was in den Wirren der Einheit allzu hastig abgerissen, abgetragen und verscherbelt worden ist.

Die Mauer musste weg, 1989, und zwar schnell. Wer wollte auch, nach einer 28 Jahre offenen Wunde am blutenden Herzen der Stadt, noch am Stacheldrahtstreifen wohnen? Nun aber tuckern Touristen, die der Spaltung nachspüren wollen, mit der Trabi-Safari vom DDR- Disneyland am Checkpoint Charlie zum Brandenburger Tor, um dort eine russische Fellmütze und ein buntes Mauerstück mit garantiert gefälschtem Echtheitszertifikat zu kaufen. Die Geschichte der Teilung, der Schmerz zersprengter Familien und geteilter Bürgersteige, ist in Berlin nicht mehr sinnlich zu erfahren. Deshalb vermissen selbst Berliner, die ihren Kindern und Enkeln erzählen wollen, woher sie eigentlich kommen, die Mauer – als Fundstelle des eigenen Lebens.

Der Reiz Berlins ist, dass sich immer neue Schichten Gegenwart auf die Vergangenheit legen, sie aber nie ganz zu verdecken vermögen. Aufreizend allerdings bleibt, wie die Stadt mit ihrer Geschichte umgeht, sie aus dem eigenen Bild herauszureißen sucht: Hitlers Führerbunker liegt abgesoffen unter einem Parkplatz (wofür es natürlich auch gute Argumente gibt), der Palast der Republik musste einer Leerstelle weichen, die wiederum einer seltsam altertümlichen Schloss- Hülse weichen soll. Authentische Gedenk- und Nachdenkorte gibt es zu wenige – und nun sollen selbst die gefakten Ansichtssachen zum Abriss freigegeben werden. Wen wundert da der Widerstand? Das Tacheles als – ebenfalls künstlich gewordenes – Symbol des wilden Wende-Wahnsinns ist bereits geräumt.

Man muss die Gegenwart nicht aufhalten, erst recht nicht in Berlin, das ständig nach Zukunft sucht. Und der Hauptstadt sollte auch nicht die Aufgabe zufallen, die gesamte deutsche Geschichte im Straßenbild zu konservieren. Doch man kann Vergangenheiten nicht nur in Museen einschließen. Sie müssen auf der Straße zu sehen sein, am besten nicht nachcoloriert. Berlin braucht heute mehr Vergangenheit zum Angucken, Nachfühlen, Drüberhinwegdenken – schon, weil sich nur so zeigt, was die Stadt an Zukunft schon geschafft hat.

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