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Streit um Guggenheim-Lab: Für den Berliner geht der Kiez vor der Metropole

Berlin befindet sich in einem einzigartigen Prozess der Stadtwerdung. Ein Projekt wie das Guggenheim-Lab könnte dabei helfen. Doch mit neuen Ideen, mit Veränderung im Allgemeinen tun sich die Berliner schwer. Nicht nur in Kreuzberg.

Wenn die Sache nicht so ernst wäre, könnte man ihr fast mit Ironie begegnen. Seit zwei Jahrzehnten befindet sich Berlin in einem städtebaulichen Umbruch ohne Beispiel, erlebt seine zweite Geburt, hat eine neue Innenstadt und szenige Prestigeviertel bekommen, obwohl es noch immer mehr Brachflächen und Stadtsteppen zeigt als jede andere Metropole. Seit Mauerfall und Wiedervereinigung ist die Stadt ein einziges städtebauliches Laboratorium. Und nun das: Das Projekt einer kleinen urbanen Denkfabrik wird zum Störfall. Dreißig Meter lang ist das corpus delicti, knappe drei Monate wird es stehen, doch die Wogen gehen hoch, als ginge es um Berlins Sein oder Nicht-Sein.

Aber ist der horrende Eindruck ganz abwegig? Denn die Drohungen einer Initiative „BMW Lab Verhindern“, von der niemand so richtig weiß, wer hinter ihr steht, rühren an ein Essential des demokratisch-städtischen Lebens, und zumindest insoweit bleibt einem die Ironie im Halse stecken. Berlin kann sich nicht vorschreiben lassen, welche Debatten es führen will und welche nicht. Selbst dann, wenn es sich nur um ein paar durchgeknallte Autonome handelt, die glauben, Artenschutz beanspruchen zu können.

Die Vermischung von Gentrifizierungs-Furcht mit der vergangenheitspolitisch vergifteten Kritik am Sponsor BMW stellt eine Anmaßung dar, die sich selbst ad absurdum führt. Der Regierende Bürgermeister hat recht, wenn er befindet, dass solche Absichten sich gegen den Geist der Stadt richten. Dabei ist gar nicht zu leugnen, dass der Umbau der Stadt fortlaufend seine Verwerfungen und Spannungen erzeugt hat. Die Kreuzberger Ecke, in der die New Yorker Ideenschmiede anlegen sollte, ist ein Beispiel dafür; die Auseinandersetzungen um das Entwicklungsvorhaben Mediaspree haben es eindrücklich belegt. Aber man kann sicher sein, dass es dem Projekt an jeder Stelle ähnlich erginge, an der es seinen Zweck erfüllen würde, das urbane Nachdenken zu stimulieren.

Bilder von den Protesten gegen das Mediaspree-Projekt:

Berlin ist nach wie vor ein großes Exempel der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, eine Agglomeration von Festland und Untiefen. So offenkundig es ist, dass ein Unternehmen wie das Guggenheim-Projekt in dieser Stadt auf breites Interesse und neugierige Zustimmung rechnen kann, so sehr muss man in Rechnung stellen, dass es auch Leute gibt, die angesichts dieses Angebots zum Farbbeutel greifen und das in schönem Zynismus auch noch für ein mildes Mittel halten. Man sollte sich im übrigen keine Illusionen darüber machen, dass es in Berlin trotz seiner staunenswerten Erneuerung ein breites Potenzial gibt, das jede Veränderung als Eingriff in seinen Besitzstand an Eckkneipe und Demo-Kultur betrachtet.

In der harmlosen Variante steht dahinter das alte west-berliner Motto: Kiez geht vor Metropole; in der bösartigen – wie im aktuellen Fall – offenbart sich ein Denken, das im Kern gestrig, also im Wortsinn reaktionär, intolerant und selbstbezogen ist. Das mag erklärlich sein: Beschleunigung erzeugt die Neigung zur Resistenz. Aber Politik und aufgeklärte Öffentlichkeit können und dürfen es nicht hinnehmen. Zufrieden kann man damit nicht sein. Das große Abenteuer der Stadtwerdung, in dem Berlin sich noch immer befindet, braucht die Anstrengung, alle Bürger in diesen Prozess einzubeziehen. Es braucht nicht zuletzt einen neuen Anlauf auf dem Felde der Stadtentwicklung, der Ziele setzt und Anteilnahme erweckt. Sagen wir es, versuchsweise, so: Es brauchte sein eigenes Guggenheim Lab.

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