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Komplex verfahren: Andrea Titz, Sprecherin des Oberlandesgerichts München, steht neben den transparenten Plastikkisten, in denen zuvor die Loszettel für die Vergabe der Pressearbeitsplätze im sogenannten NSU-Prozess enthalten waren. Die Vergabe wurde zuvor unter notarieller Aufsicht per Losverfahren ermittelt.

© dpa

Streit um Medienplätze im NSU-Prozess: Videoübertragung als kleine Hoffnung

Beim NSU-Prozess noch über eine weitere Klage dabeizusein, wird für Medien schwierig. Eine kleine Chance aber gibt es. Unser rechtspolitischer Korrespondent Jost Müller-Neuhof analysiert das Verfahren und den vorherigen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.

Der Erfolg der türkischen Zeitung „Sabah“ hat Mut gemacht, nun hoffen auch andere Medien, das Bundesverfassungsgericht werde ihnen im Streit um die knappen Presseplätze im NSU-Verfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht helfen können. Ärgerlich auch, weil manche doch im ersten Anlauf unter den Rechtzeitigen gewesen, die einen Sitz reservieren konnten. Gute Aussichten bestehen für weitere Klagen allerdings nicht. Im zweiten Anlauf scheint es dem Strafsenat unter Richter Manfred Götzl gelungen zu sein, seine Auswahl gerichtsfest zu machen. Es bleibt einiges zu kritisieren; doch wer das Verfahren immer noch für inakzeptabel hält, hätte einen besseren Vorschlag machen müssen. Ein solcher lässt auf sich warten.

Dafür heißt es nun, es hätte doch kein Problem geben müssen: Einfach drei Plätze für türkische Medien dazustellen, schon wären die Vorgaben aus dem Karlsruher Beschluss erfüllt gewesen. Und zugleich wären die Medien zufrieden gewesen, die sich früh bemüht hatten und belohnt worden waren, jetzt aber ihr Lospech verdauen müssen.

Ein genauer Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aber lässt daran zweifeln. Die höchsten Richter hatten am ersten, nach dem „Windhundprinzip“ gestalteten Durchgang mehr auszusetzen als nur fehlende Plätze für türkische Beobachter. So stellten sie fest, dass einige Medien früher über Details der Akkreditierung als andere informiert waren; dass über das gesamte Verfahren „im Sinne der Fairness“ womöglich früher und besser hätte informiert werden müssen, weil beim Rennen um die Teilnahme die „Chancengleichheit realitätsnah gewährleistet“ sein muss.

Das erste Verfahren war – bis auf die Berücksichtigung der türkischen Medien – formell in Ordnung, wurde aber in den Händen der Pressestelle zum Desaster. Statt rechtzeitig eine unmissverständliche Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, wurde das Wesentliche in Verfügungen des Vorsitzenden versteckt. Auch nahm man hin, dass Journalisten die für die Akkreditierung nötige Kopie des Presseausweises schon vorher übersandten – ein Vorteil, wenn es beim Abschicken einer Mail um Sekunden geht. Selbst mit der Hereinnahme der Türken in den Prozess wäre das Verfahren daher – auch juristisch – weiter angreifbar geblieben.

Folglich war es richtig, dass die Münchner Richter mit dem ersten Verfahren auch die damaligen Anmeldungen kassierten und ein neues auf den Weg brachten. Diese Präferenz hatte auch das Bundesverfassungsgericht erkennen lassen. Die Kriterien dafür sind jetzt im Einzelnen fragwürdig, etwa mit der großzügigen Berücksichtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, doch den Maximen der Gerichtsöffentlichkeit und den Ansprüchen der Chancengleichheit werden sie  wohl gerecht. Medien, die sich jetzt einklagen und auf Vertrauensschutz berufen wollten, müssten sich dem Vorwurf aussetzen, von den Ergebnissen eines möglicherweise rechtswidrigen, in jedem Fall aber unselig verlaufenen  ersten Verfahrens profitieren zu wollen. Mit solchen Argumenten wird man in Karlsruhe auf wenig Verständnis stoßen.

Eine andere Variante wäre, nun doch noch eine Videoübertragung in einen zweiten Saal für die Journalisten durchzusetzen. Das Thema hat das Bundesverfassungsgericht bereits auf Antrag von Nebenklägern beschäftigt, die allerdings keine Grundrechtsverletzung geltend machen konnten; sie sind als Nebenkläger schließlich ohnehin zum Zutritt berechtigt. Anders die Pressevertreter, die bei der Verlosung kein Glück hatten. Sie könnten argumentieren, die Pressefreiheit sei verletzt, wenn sie nicht über den wichtigsten Prozess des Jahrzehnts berichten könnten. Ein solcher, über die Grundrechte vermittelter Zugangsanspruch wäre jedoch ein Novum im Verfassungsrecht, zumal das geltende Gesetz solcher Videoübertragungen vielleicht nicht ausschließt, aber eben auch nicht eindeutig erlaubt.

Dass eine weitere Klage in Karlsruhe erfolgreich sein kann, ist also unwahrscheinlich. Eher gibt es die sehr kleine Möglichkeit, dass die Verfassungsrichter in ihrem Beschluss die streitige Gesetzeslage zu Videoübertragungen im Sinne der Kläger klarstellen könnten. Dann hätten die Münchner Richter die ihnen bislang fehlende juristische Sicherheit, und es wüchse der politische Druck, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Zu erwarten ist das aber nicht. Die rechtspolitische Diskussion um die  Medienöffentlichkeit von Gerichtssälen läuft seit Jahren. Das Bundesverfassungsgericht wird wenig Anlass dazu sehen, sich ausgerechnet in dieser aufgeladenen Situation mit einer grundsätzlichen Klärung einzuschalten – und letztlich damit eine Frage zu entscheiden, die die Politik zu beantworten hat.

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