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Stuttgart 21: Stresstest für die Grünen

Die Bahn lässt streuen, sie habe den Stresstest für den umstrittenen Bahnhof Stuttgart 21 bestanden. Haben die Grünen einen Plan, wie sie mit dieser Situation umgehen wollen? Auf eine Schonfrist müssen sie nicht hoffen.

Werden die Grünen jetzt langweilig, angepasst ans Establishment? Keine schrill-lauten Trillerpfeifen, kein Gerempel wie damals beim Kosovo-Parteitag, als es auch um eines der Kernthemen der Partei ging? Stattdessen auch hier inzwischen ein kalkuliertes Parteitagsmanagement, das die Kritiker stundenlang zu Wort kommen lässt, aber wohldosiertes Einwirken der Parteispitze in den verschiedenen Phasen der Debatte vorsieht – und dann noch der bald in Berlin zur Wahl stehenden Fraktionschefin Renate Künast die abschließende Überzeugungsrede überlässt. Auch dem Letzten dürfte spätestens da klar gewesen sein, wohin das führen soll. Richtung Regierungsmacht. Auch 2013 im Bund.

Immerhin: Die Kritiker werden nicht niedergebuht oder diskreditiert, mit ihnen wird diskutiert. Wenn die Grünen-Fraktion am Donnerstag dem schwarz- gelben Atomausstieg im Bundestag zustimmen wird, können die Abgeordneten es offensiv tun, nicht verschämt. Glaubwürdig für die meisten eigenen Leute. Sie werden mit einem guten Gewissen für den Atomausstieg bis 2022 stimmen, auch wenn der jetzt von Schwarz-Gelb aufgerufen wird, denn sie haben am Samstag miteinander die Fronten geklärt. Sie können sich nach all den Jahren den Sieg anheften. Doch was machen die spinat-gedopten Popeyes, wie Künast die Grünen nennt, dann mit ihren dicken Muskeln?

Die Führungsriege weiß ganz genau, auch wenn sie nicht so leichtfertig war, das laut zu sagen: Jetzt werden sie liefern müssen. Damit die Grünen möglichst viele der so hohen Umfrageprozente in Wählerstimmen ummünzen können und die Partei nicht wieder auf zehn Prozent oder weniger zurückfällt. Der Weg zu dauerhaftem Erfolg in der Mitte der Gesellschaft wird mindestens so hart wie der bis zu dem Punkt, an dem die Republik jetzt der Atomkraft den Rücken kehrt. Vor allem: Auf diesem Erfolg kann sich die Partei nicht ausruhen. Nicht einmal das Thema der erneuerbaren Energien werden die politischen Konkurrenten den Grünen lassen. Sie werden sich als die besseren Ökos zu profilieren suchen, die die moderne Energieversorgung auf den Weg bringen. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht in die Ecke der Dagegen-Partei geraten, denn die Regierungskoalition wird dieses Thema für sich besetzen wollen – und sie hat einen großen Apparat, der für sie arbeitet. Deshalb bei jeder Stromtrasse Ja zu rufen, ist keine Lösung. Aber haben die Grünen durchgerechnete Konzepte für ihre Energiewende? Die müssen jetzt auf den Tisch. Grüne können da nicht in den beliebten Politikersport wechseln, wonach so etwas nicht Sache der Opposition ist. Noch etwas ist nach dem Wochenende klar: Die Partei muss sich bei den Themen breiter aufstellen und sie konsequent wie konsistent angehen, wenn sie im Bund mitregieren will. Internationale Finanzen, innere Sicherheit, Terror sind nur einige Bereiche, zu denen sie Konzepte vorlegen muss und Personen, die glaubhaft dafür stehen. Renate Künast hat in den vergangenen Monaten öfter feststellen müssen, wie schwierig das breite Spektrum selbst für eine regierungsversierte Kandidatin ist.

Selbst der Atom-Erfolg hält nicht lange vor. Die Bahn lässt streuen, sie habe den Stresstest für den umstrittenen Bahnhof Stuttgart 21 bestanden, sekundiert von einem grünen Minister. Ein Statement wie das vom grünen Ministerpräsidenten Kretschmann, der nach der jüngsten Eskalation aus dem Urlaub hatte mitteilen lassen, Gewalt sei inakzeptabel, reicht da nicht. Die überraschte Forderung des Regierungssprechers, die Bahn solle die Unterlagen schicken, klingt hilflos. Haben die Grünen einen Plan, wie sie mit dieser Situation umgehen wollen? Überraschend kommt das Thema wahrlich nicht. Haben sie den Koalitionspartner SPD an ihrer Seite? Auf eine Schonfrist müssen sie nicht hoffen. Das Hin und Her der vergangenen Tage spricht nicht für koordiniertes Vorgehen. Aber am Umgang mit Stuttgart 21 werden nicht nur Wähler in Baden-Württemberg die Grünen messen. Den Stresstest müssen sie bestehen.

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