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Was WISSEN schafft: Syriens Chemiewaffen bleiben gefährlich

Die Vernichtung ist aufwendig und dauert lange

Das Massaker begann noch vor dem Morgengrauen. Am 21. August wurde nahe Damaskus an mehreren Orten Sarin freigesetzt. Dringt das Gas in den Körper, stört es die Reizleitung im Nervensystem, es kommt zu Muskelzucken, Erbrechen, Atemlähmung. Mehr als 1400 Syrer gingen qualvoll zugrunde.

Um weitere Verbrechen dieser Art zu verhindern, sollen die Chemiewaffen des Landes zerstört werden. Dazu ist das Assad-Regime nun offensichtlich gewillt. Es unterstützt die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OVCW), die derzeit das Arsenal erfasst und die Zerstörung überwacht. Dass der Organisation vor knapp zwei Wochen der Friedensnobelpreis zugesprochen wurde, ist eine zusätzliche Motivation für ihre Mitarbeiter. Die werden sie dringend brauchen, denn die Vernichtung der Chemiewaffen ist eine gewaltige Aufgabe – unabhängig von dem sehr ambitionierten Termin 30. Juni 2014.

Sofern die Angaben der Geheimdienste stimmen, ist Sarin mit rund 700 Tonnen das mengenmäßig größte Problem. Zusätzlich werden rund 300 Tonnen Senfgas vermutet sowie eine kleinere Menge der Substanz VX. Die Kampfstoffe liegen in unterschiedlichen Zuständen vor. Teilweise sind sie wohl einsatzbereit; zumindest Sarin dürfte zum großen Teil noch nicht angemischt sein, stattdessen wurden Vorprodukte hergestellt und eingelagert.

Im ersten Schritt werden derzeit Mischanlagen und Befüllstationen zerstört. So können die Vorprodukte nicht zum todbringenden Einsatz gebracht werden. Um die Gefahr wirklich zu bannen, müssen aber auch die Basiszutaten zerstört werden. Bei Sarin ist das zum einen Isopropanol, das zur Gruppe der Alkohole gehört und weniger bedenklich ist. Die zweite Zutat, Methylphosphonsäuredifluorid, ist auch für sich allein genommen giftig und mit großer Vorsicht zu behandeln, warnt der Chemiewaffenexperte und ehemalige OVCW-Mitarbeiter Ralf Trapp. Um die Flüssigkeit unschädlich zu machen, kommen – wie bei allen anderen Nervenkampfstoffen auch – prinzipiell zwei Verfahren zum Einsatz. Sie wird entweder verbrannt oder chemisch entschärft.

Die Verbrennung erfolgt bei Temperaturen weit über 1000 Grad. Wichtig ist dabei, dass die schadstoffhaltigen Rauchgase gründlich gereinigt werden, damit sie nicht in die Umwelt gelangen. Die Methode ist erprobt, zum Beispiel im C-Waffen-Abrüstungsprogramm in den USA und Russland. Allerdings wird dort ohne Zeitdruck und in Frieden gearbeitet.

In Syrien aber herrscht Bürgerkrieg, die Sicherheitslage für die Fachleute der Verbrennungsanlagen könnte man wohlwollend als „kritisch“ bezeichnen. Zudem würde es weit über ein Jahr dauern, bis eine solche Anlage errichtet und betrieben werden könnte, sagt ein Experte der Böblinger Firma Eisenmann, die auf das Verfahren spezialisiert ist.

Wie schnell die Verbrennung selbst vorankommt, ist eine andere Frage. Die Erfahrungen zeigen, dass die Zerstörung der C-Waffen viel länger dauert als geplant. 2007 sollte es in Russland und den USA geschafft sein, mittlerweile heißt es 2015 und 2023.

Das wird bei dem zweiten Verfahren, der chemischen Neutralisierung, nicht anders sein. Dabei werden die Kampfstoffe oder ihre Vorprodukte mit Wasser und Ätznatron vermischt, damit sie weniger giftige Stoffe bilden. Der Vorteil besteht darin, dass es dafür auch mobile Anlagen gibt, die bei den geschätzt rund 20 Chemiewaffendepots in Syrien eingesetzt werden können. So ließen sich riskante Transporte der gefährlichen Stoffe durch das Bürgerkriegsland vermeiden. Ein Nachteil ist der immense Wasserverbrauch.

Bei einem System, das kürzlich die amerikanische Armee vorstellte, ist im Vergleich zu den Chemikalien die 14-fache Menge Wasser nötig. Die muss auch wieder entsorgt werden. Denn am Ende bleibt eine Salzbrühe übrig, die man nicht einfach ablassen kann. Ein weiteres Problem, das es zu lösen gilt. Welche Methode in Syrien genutzt werden wird, soll bis Mitte November geklärt werden. Vermutlich kommen beide zum Zuge, je nach Standort und Art der Bestände.

Eines ist klar: Das hoffnungsvolle Motiv von tödlichen Schwertern, die zu lebenserhaltenden Pflugscharen werden, funktioniert bei diesen Waffen nicht. Jeder Versuch, daraus nützliche Chemikalien zu vertretbaren Kosten herzustellen, ist bisher misslungen.

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