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Terror in Ankara: Erdogan und Gül sollten bei Doppelstrategie bleiben

Niemand kann vom türkischen Staat verlangen, Terroranschläge wie die von Ankara einfach nur hinzunehmen. Doch bei aller Entschlossenheit bei der Verfolgung und Bestrafung der Täter darf der politische Aspekt des Kurdenkonflikts nicht aus dem Auge verloren werden.

Man dürfe dem Terror nicht weichen, sagte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül nach der Bombendrohung gegen seinen Auftritt an der Berliner Humboldt-Universität am Montagabend. Gül bestand darauf, seine Rede zu halten, um zu zeigen, dass er sich nicht einschüchtern lassen will. Am Tag darauf töteten Terroristen mit einer Autobombe in Ankara drei Menschen und verletzten 15 weitere zum Teil lebensgefährlich.

Auch diesmal wird die türkische Politik Entschlossenheit demonstrieren, sogar ein Einmarsch im Nordirak ist denkbar, wenn sich herausstellen sollte, dass die kurdische PKK hinter dem Blutbad von Ankara steckt. Gül und andere führende Politiker wissen aber längst, dass Entschlossenheit im Kampf gegen den Terror zwar wichtig, am Ende jedoch nicht das Wichtigste ist. Entscheidend ist die Lösung politischer, sozialer und wirtschaftlicher Probleme hinter der Gewalt.

Die türkische Regierung hat in den vergangenen Jahren einiges getan, um diese Erkenntnis im Kurdenkonflikt umzusetzen, der seit 1984 mehreren zehntausend Menschen das Leben gekostet hat und jetzt womöglich auch der Grund für den Anschlag von Ankara war. Die Regierung hat kurdische Fernsehsender erlaubt, Kurden dürfen in ihrer Sprache Wahlkampf machen. Die Justiz hat damit begonnen, die vielen tausend außergerichtlichen Hinrichtungen aufzuarbeiten, mit denen der türkische Staat besonders in den 1990er Jahren mutmaßliche PKK-Anhänger beseitigte.

Noch wichtiger ist, dass die Regierung das direkte Gespräch mit dem Staatsfeind PKK gesucht hat. Es gab Verhandlungen zwischen Staatsvertretern und dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul. Vor einigen Tagen wurde zudem bekannt, dass der türkische Geheimdienst vertrauliche Gespräche mit Abgesandten der aktiven PKK-Führung führte. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, im Westen nicht gerade als geschmeidiger Kompromiss-Sucher bekannt, hat also tatsächlich Gespräche mit der PKK angestoßen.

Doch Erdogan bewegt sich in einem schwierigen politischen Gelände. Ausgerechnet der Ministerpräsident mit dem Ruf eines Raubeins steht bei türkischen Nationalisten im Verdacht, im Kurdenkonflikt ein Weichei, wenn nicht ein Landesverräter zu sein.

Trotz der Kritik von rechts sollten Erdogan und Gül bei ihrer Doppelstrategie bleiben. Niemand kann vom türkischen Staat verlangen, Terroranschläge wie die von Ankara einfach nur hinzunehmen. Doch bei aller Entschlossenheit bei der Verfolgung und Bestrafung der Täter darf der politische Aspekt des Kurdenkonflikts nicht aus dem Auge verloren werden.

Angesichts der militärischen Eskalation nach diversen PKK-Anschlägen und türkischen Luftangriffen auf PKK-Stellungen im Nordirak in jüngster Zeit äußerten einige Menschenrechtler in der Türkei bereits die Befürchtung, das Land sei auf dem Weg zurück in die dunklen Zeiten der 1990er. Das sollten Erdogan und Gül nicht zulassen, denn dieser Weg wäre eine Sackgasse. Statt dessen sollten sie jede Chance für echte Verbesserungen ergreifen. Die anstehenden Beratungen über eine neue Verfassung für die Türkei bieten eine gute Gelegenheit, das Dazugehörigkeitsgefühl aller Volksgruppen und Minderheiten im Land zu stärken und deren Rechte zu sichern.

Der Westen kann bei diesem Prozess helfen, indem er Erdogan und Gül ermutigt – und gleichzeitig auf die legale Kurdenpartei BDP einwirkt, die sich mit einer Distanzierung vom PKK-Terror schwertut. Die BDP, die derzeit das Parlament von Ankara boykottiert, ist ihrer Verantwortung bei diesem Thema bisher nicht gerecht geworden. Bei der Suche nach der Lösung für die Kurdenfrage braucht die Erdogan-Regierung nicht nur Mut, sondern auch verlässliche Gesprächspartner.

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