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Meinung: Tierseuchen: Das Nutztier - ein Mitgeschöpf

Plötzlich ist das Schwein wieder ein Schwein und das Rind ein Rind. Sie waren für uns Städter unkenntlich geworden, da sie sich im Verborgenen in eine Schmalzdose oder Wurstpelle pressen ließen.

Plötzlich ist das Schwein wieder ein Schwein und das Rind ein Rind. Sie waren für uns Städter unkenntlich geworden, da sie sich im Verborgenen in eine Schmalzdose oder Wurstpelle pressen ließen. Nun aber treten sie aus dem Schlachthof heraus, um einen anderen Tod, den öffentlichen, zu sterben: die Verbrennung.

Viele Tiere sind krank. Sie leiden an einer Seuche, an BSE oder der Maul- und Klauenseuche. Und da die infizierten und potenziell betroffenen Schweine und Rinder für unseren Markt und unsere Gesundheit womöglich schädlich sind, müssen wir uns angucken, wie sie in Asche übergehen. Vor allem erschreckt uns, wie viele es sind, die unserem Urteilsspruch folgen: Hunderte, Tausende, Hunderttausende.

Das Feuer wirft sein Licht auf uns zurück. Wir würden am liebsten die Augen schließen. Denn an diesen Anblick können wir uns nicht gewöhnen. Gerade weil wir uns vorher so wenig Gedanken darüber gemacht haben, was wir da täglich zu uns nehmen, erscheinen uns die abertausend Tode jetzt so grausam. Tode, über die wir selbst befunden, die wir aber so nie gewollt haben. Bis dann die Produktion nicht mehr so reibungslos lief wie gewohnt und sich die ghettoisierte Massenschlachtung in eine öffentliche Massenverbrennung verwandelte.

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat vor wenigen Tagen im Tagesspiegel gesagt, für die Tötung der Tiere gebe es keine Rechtfertigung. Man könne allenfalls Gründe angeben. Etwa, dass die Erreger von BSE oder Maul- und Klauenseuche hochgradig ansteckend sind. Im Falle der auch für den Menschen gefährlichen Rinderseuche BSE sind sie sogar noch unbekannt. Sie verbreiten sich auf stillen Wegen: BSE über das an Rinder verfütterte Tiermehl oder über Lebensmittel. Die Maul- und Klauenseuche kann ihre Opfer selbst über den Wind erreichen. Am sichersten ist es, nicht mit dem in Berührung zu kommen, der die Ansteckung schon in sich tragen könnte. Im Mittelalter flohen die Menschen vor der Pest aufs Land. Und auch heute reagieren wir mit Abgrenzung: Die Postboten bleiben den betroffenen Höfen in Großbritannien fern. Die EU-Länder verhängen Ein-, Ausfuhr- und Transportverbote. Und selbst das genügt nicht. Wir greifen zum äußersten Mittel: der Tötung und Verbrennung der Herden.

Ihre Zahl aber ist größer geworden. Unvorstellbar groß. Die toten Tiere sind überall. Täglich werden in Großbritannien neue Leichenhaufen entzündet. Und oben drauf drohen dann noch Hunderterttausende Rinder zu kommen, die nach Zusammenbruch des Marktes zur "Bereinigung" des selben vernichtet werden sollen. Das ganze System der Massentierhaltung ist obsolet geworden. Die Grausamkeit liegt nicht erst in der Seuchenbekämpfung. Aber die Seuchen haben Millionen Nutztiere unnütz gemacht. Keiner möchte sie mehr haben. Die einstigen Nutztiere sind nur noch, sind jetzt erst wieder Tiere: Mitgeschöpfe, die unser Mitleid erregen.

Beim Einkauf hört man immer öfter, dass sich Menschen für die Lebensumstände der Tiere und die Herstellung des Fleisches interessieren. Auch dass einige ihren Fleischkonsum bremsen. Nur einmal die Woche Fleisch - in manchen Familien ist diese (auch gesunde) Variante wieder in. Wir, die Verbraucher, bringen den Markt nun in Bewegung. Unsere Nachfrage entscheidet mit über die Angebote. Sie könnte letztlich selbst das unsinnige europaweite Subventionssystem der Landwirtschaft zu Fall bringen. Wir sollten uns das vergegenwärtigen. Sonst werden Schweine und Rinder bald wieder zu einer einzigen Masse werden, unkenntlich, bis zur nächsten Krise.

Tagesspiegel Online Spezial: www.tagesspiegel.de/bse

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