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Meinung: Trialog: Die Entdeckung der Schnelligkeit

Archiv der Wirklichkeit" heißt eine Ausstellung, in der Photographien den architektonischen Wandel in Ostdeutschland über einen Zeitraum von zehn Jahren dokumentieren. Offensichtlich wird es schon notwendig festzuhalten, wie es bis zur Wende im Osten ausgesehen hat.

Archiv der Wirklichkeit" heißt eine Ausstellung, in der Photographien den architektonischen Wandel in Ostdeutschland über einen Zeitraum von zehn Jahren dokumentieren. Offensichtlich wird es schon notwendig festzuhalten, wie es bis zur Wende im Osten ausgesehen hat. So schnell ändern sich die Dinge.

Andererseits wirkt manches auch bleiern. Der Wanderungssaldo in vielen Regionen und Städten im Osten ist erschreckend hoch, die Schere der wirtschaftlichen Leistungskraft zwischen West und Ost ist in den letzten Jahren wieder größer geworden. Vom Arbeitsmarkt gar nicht zu reden. Als Ursache unserer Probleme wird allgemein ein Übermaß an Bürokratie und Regulierungen erkannt. Tatsächlich erinnern manche Reformprozesse in Wirtschaft und Verwaltung auch eher an den Titel von Sten Nadolny "Die Entdeckung der Langsamkeit".

In der Entwicklungspolitik haben wir die Ungleichzeitigkeit von Gleichzeitigem entdeckt, also die Widersprüche zwischen ganz unterschiedlichen Entwicklungsständen in den verschiedenen Teilen unserer einen Welt, und die Konflikte, die sich daraus ergeben. Zwischen wissenschaftlich-technischem Fortschritt und den Strukturen unserer Gesellschaft könnte ein ähnlicher Gegensatz gegeben sein. Das Innovationstempo in Wissenschaft und Wirtschaft wird immer schneller, "Beschleunigung" ist neben Globalisierung Stichwort für die Zustandsbeschreibung unserer Welt.

Ob der Mensch, der sich in der Evolutionsgeschichte als anpassungsfähiges Wesen behauptet hat, dieser Beschleunigung gewachsen ist, wird von manchen bezweifelt. Vermutlich ist das ein Hintergrund vieler bioethischer Debatten, aber auch der kaum zu bestreitenden Forderung, dass der Mensch das Maß des Fortschritts bleiben müsse.

Der Soziologe Karl Otto Hondrich hat darauf aufmerksam gemacht, dass die gesellschaftlichen Probleme auch dann bestehen bleiben würden, wenn es gelänge, den Menschen genetisch zu verbessern. Auf Zusammenleben mit anderen würde der Mensch immer angewiesen bleiben, und die vier Grundvorgänge menschlichen Zusammenlebens - Werten, Teilen, Mitteilen und Bestimmen - würden in jeder Gesellschaft notwendig zu Unterschieden und Hierarchien führen, was man etwa in mittelalterlichen Klöstern so gut studieren konnte wie auf Sträflingsinseln im 19. Jahrhundert. Dazu könnte der Widerspruch passen, dass mit wachsendem Wohlstand unserer Gesellschaft insgesamt die sozialen Probleme nicht kleiner werden, manchmal eher noch schwerer lösbar erscheinen.

Wir werden die Widersprüche nicht verhindern können. Aber indem wir sie uns bewusst machen, bleiben sie beherrschbar. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Dann verlieren wir die Angst vor Fortschritt und Zukunft und gewinnen Freude am Wandel. Vor allem aber bleibt genug zu tun. Bürgerlich-friedliche Gesellschaften, so wird gelegentlich befürchtet, könnten an Langeweile zugrunde gehen. Wer manche Exzesse unserer Medien und sonstiger öffentlicher Amüsierbetriebe betrachtet, mag nachdenklich werden. Wer dagegen die Aufgaben sieht in unserer Gesellschaft und in der globalisierten Welt, der entgeht der Gefahr der Langeweile.

Also sollten wir auf Wandel setzen und neugierig bleiben für neue Erkenntnisse und bessere Lösungen. Dazu brauchen wir Forschung und wissenschaftlichen Fortschritt. Dazu gehören Eliten. Deshalb verdient Richard Schröder Zustimmung, wenn er meint, dass man Forschern auch vertrauen kann.

Wolfgang Schäuble ist CDU-Präsidiumsmitg

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