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Meinung: Überwachen und Strafen

Das Bundeskriminalamt braucht endlich mehr Befugnisse im Kampf gegen den Terror

Von Frank Jansen

Zwei bizarr unterschiedliche Bilder dominieren in diesen Tagen den Kampf gegen den Terror. Da ist der tote, unschuldige Brasilianer in London, den Polizisten offenbar ohne jede Not in der U-Bahn erschossen. Und da ist der Terrorverdächtige Mounir al Motassadeq in Hamburg, den das Oberlandesgericht dort am heutigen Freitag vermutlich freisprechen wird. Damit steht der Bundesanwaltschaft offenkundig ein Debakel bevor – aber ist das nicht immer noch besser als die hektische Überreaktion in London? Oder sollte die Bundesrepublik nicht doch mehr Härte zeigen?

Der Fall Motassadeq ist nicht der einzige, in dem die Strafverfolger große Probleme bekamen. Ein Landsmann des Marokkaners, Abdelghani Mzoudi, den die Bundesanwaltschaft auch für einen Komplizen der Attentäter des 11. September hält, wurde freigesprochen. Es gelang zudem nicht, einen Haftbefehl gegen den deutschen, zum Islam konvertierten Terrorverdächtigen Christian Ganczarski zu erwirken. Und der Syrer Mamoun Darkazanli, mutmaßlich eine wichtige Al-Qaida-Figur, kam frei, nachdem das Bundesverfassungsgericht das deutsche Gesetz zum europäischen Haftbefehl für nichtig erklärt hatte. Die Bundesanwaltschaft ist für die Pannen jedoch kaum verantwortlich. Vielmehr ist der gesetzliche Rahmen zu eng, um effektiver gerichtsfeste Beweise sammeln zu können.

Die Innenminister verweisen gern auf Gesetze und Richtlinien, die nach dem 11. September verschärft wurden. Es stimmt, die Ausweisung von Hasspredigern ist erleichtert worden, der neue Paragraf 129 b im Strafgesetzbuch ahndet endlich die Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorgruppe. Und in Berlin arbeiten Experten von Geheimdiensten und Polizei nah zusammen in einem – zweiteiligen – „Gemeinsamen Terrorismusabwehr-Zentrum“. Auch darf der Reichstag nicht mehr überflogen werden, nachdem sich der Pilot eines Ultraleichtflugzeuges vor dem Gebäude in den Tod gestürzt hat. Aber dass der Mann überhaupt in den Luftraum über dem Regierungsviertel eindringen konnte, ist ein Indiz für den Mangel an Prävention, den sich die Republik vier Jahre nach dem 11. September immer noch leistet.

Die Defizite in der Abwehr der Terrorgefahr sind längst bekannt, doch sie werden nur schleppend oder gar nicht behoben. Das Bundeskriminalamt hat immer noch keine präventiven Befugnisse und darf weniger als eine Polizeiwache auf dem Lande. Über eine gemeinsame Islamistendatei von Polizei und Geheimdiensten wird viel geredet – doch nicht einmal die Minimallösung einer Index-Datei, die nur den Weg zu weiteren Informationen über einen Terrorverdächtigen zeigen würde, wurde umgesetzt.

Eine Ursache ist die in überspitzten Föderalismus mündende Angst der Länder vor einer Bevormundung durch den Bund. Eine weitere: Das Trennungsgebot, die strikte Abgrenzung der Kompetenzen von Polizei und Nachrichtendiensten, behindert die Kooperation. Die Bewahrer des Gebots zeichnen das Gespenst einer Gestapo-artigen Superbehörde. 60 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes ist das weltfremd. Diese Strukturbewahrer verkennen das Ausmaß der realen Gefahr für Deutschland.

Damit ist nicht nur das Terrorrisiko gemeint. Schlügen in Berlin islamistische Attentäter zu, wie in London, gäbe es in der Republik vermutlich ganz schnell sehr viele Anhänger eines an Gestapo-Methoden erinnernden Sicherheitswahns. Dann mutierten vermutlich Willkür-Ideen wie die einer vorbeugenden Sicherungshaft für Terrorverdächtige, die Bundesinnenminister Otto Schily fordert, im Eiltempo zu Gesetzen. Die Balance von Sicherheitsbedürfnis und Freiheitsrechten wäre zerstört. Diesem Szenario sollten der Rechtsstaat und die ihn tragende Gesellschaft vorbeugen, indem sie zügig und rational Sicherheitsdefizite verringern. Anstatt einen Terrorangriff abzuwarten – mit Konsequenzen wie in London.

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