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Meinung: Unser täglich Mobbing gib uns heute

Von Roger Boyes, The Times

Es war wirklich clever, dass Thomas Gottschalk für seinen Bibeltest Promis eingeladen hat. Okay, der Begriff des Promis ist mittlerweile ein eher dehnbarer, wie die furchtbare Werwölfin Desiree Nick am Donnerstagabend wieder einmal gezeigt hat. Das deutsche Fernsehen hat mittlerweile ein Stadium erreicht, in dem schon eine Frau, die öffentlich über ihren Oralsex in der SBahn räsoniert hat, als wichtige Autorität in alttestamentarischen Fragen angesehen wird.

Und doch brauchen natürlich auch Deutsche Wegweisungen aus der Bibel. Neulich fragte ich den zwölfjährigen Sohn einer Kollegin, ob er wüsste, was Jesus an Ostern widerfahren sei. „Klar“, sagte er. „Er wurde weggemobbt“. Das hört sich zwar pietätlos und ignorant an, ist aber gar nicht so weit weg von der Wahrheit – und Ausdruck unseres Zeitgeists. Mobbing ist ein zentrales Thema unserer Medienwelt geworden. Wenn heute überhaupt noch jemand Big Brother guckt, dann nicht, um sich am Schlüsselloch-Sex zu laben, sondern um die Grausamkeit des Rauswurfs zu zelebrieren. Von Vera bis Bärbel: jede Nachmittags-Talkshow hat mittlerweile einen Abgewiesenen als Stargast. Von unseren Sofas und Krankenhausbetten aus werden wir hineingesogen in das Unglück eines Einzelnen, der mit Eiseskälte aus dem Leben ausgeschlossen wird.

Sogar das gehobene Bildungsfernsehen zeigt uns Alten-WGs oder das Leben im Gutshaus im Jahr 1900 und appelliert damit an unsere niederen Instinkte. Das Fernsehen präsentiert uns eine harte, kalte Welt – Lebensweisheit: Wer zuerst grüßt, der verliert –, die der realen Welt zunehmend ihre ethischen Standards diktiert. Überrascht es da, dass sich die Zahl der Mobbing-Fälle bei der Bundeswehr im letzten Jahr verdoppelt hat?

Demütigungen und Hänseln hat es immer gegeben – in der Schule (übrigens auch unter Lehrern), in der Armee. Die Literatur klärt uns aber darüber auf, dass die wahren Helden diejenigen sind, die sich vor die Außenseiter stellen – von Tom Browns „Schooldays“ bis Robert Musils „Die Verwirrungen des Zögling Törleß“. Auch ein Blick in die Bibel verdeutlicht: Es ist moralisch korrekt, sich gegen eine Gemeinschaft zu erheben, die einen Einzelnen isolieren oder ausschließen will.

Big Brother und all die anderen Reality-Shows lehren uns nun das Gegenteil: Es ist nicht nur rechtens, den Schwachen oder den Exzentrischen auszuschließen, sondern es ist die Norm. Die Ideengeber und Produzenten spielen Gott, manipulieren Abstimmungen und schaffen aus der Vertreibung von Menschen aus der künstlichen Wärme des Container-Nestes ihr Unterhaltungsprogramm.

Was dabei herauskommt, ist aber gerade keine „Reality“. Es ist vielmehr ein teuflisches Spiel, das langsam, aber sicher einen bleibenden Eindruck im Menschenbild der vornehmlich jungen und leicht beeinflussbaren Zuschauer hinterlässt. Wenn ich meinem Instinkt als ein alter, liberaler Engländer mit abnehmender Energie folge, dann müsste ich sagen: Lass doch die Leute selber entscheiden, was sie schauen wollen, sie können den Schrott jederzeit ausschalten.

Alles hat aber seine Grenzen. Das Reality-Genre hat diese mittlerweile weit überschritten. Graffities im Bayerischen Viertel, die die Nürnberger Gesetze verherrlichen – stehen die nicht für irgendetwas? Für das systematische Ausschließen von Menschen – aus welchen Gründen auch immer, damals für die Ideologie, heute für die Fernsehunterhaltung – war sich der Zeitgeist nie zu schade.

Ist das keine Osterbotschaft? Nächstes Jahr schreibe ich über Osterhasen und Eierkuchen, versprochen.

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