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Angela Merkel.

© dpa

Unsere Kanzlerin: Warum Angie nicht Maggie ist

Politiker prägen ihre Zeit? Ein bisschen vielleicht. Das galt für Margaret Thatcher, das gilt auch für Angela Merkel. Vor allem aber werden Politiker von den Verhältnissen gemacht.

Als Maggie Thatcher unlängst starb, da haben viele an Angela Merkel gedacht. Nein, keine Böswilligkeiten jetzt. Die beiden Regierungschefinnen, jeweils die ersten ihres Landes, werden eben gern verglichen. Mit dem Ergebnis, dass unsere Kanzlerin schon mal als Eiserne Lady bezeichnet wird, weil man ihr damit entweder die Scheußlichkeiten Thatchers anhängen (kommandierte oft) oder aber deren glorreiche Eigenschaften (konnte führen) andichten möchte. Dann wird gern darauf hingewiesen, dass beide Naturwissenschaftlerinnen waren, "chemistry" die eine, Physik die andere – ergo rational und kühl. Dass sie ihre Parteien im Griff (gehabt) hätten, mit einigen Männeropfern entlang des Karrierewegs. Dass sie ihre Parteien an einem Tiefpunkt übernommen und dann zu neuen Höhen geführt hätten. Was Merkel immerhin im September erst noch bestätigen muss. Wenn sie das schafft, dann wird sie wohl zwölf Jahre Kanzlerin sein. Thatcher war gut elf Jahre Premierministerin. Freilich trennt Thatcher und Merkel wohl mehr, als sie verbindet. Politiker und auch -innen werden schließlich mehr durch die Verhältnisse geprägt, als das umgekehrt der Fall ist (die Ausnahme ist möglicherweise Helmut Schmidt). Und da ist es nun einmal so, dass die Briten sich über die Jahrhunderte ein System gebastelt haben, das man in Politikseminaren Westminster-Modell nennt (weil es dort praktiziert wird). Kurz gefasst funktioniert das wie die Sitzordnung im Unterhaus: gegenüber, konfrontativ, Freund-Feind, Opposition gegen Regierung. Idealerweise ohne Koalitionen (derzeit ist man ein bisschen vom Ideal entfernt, stimmt schon, aber das gibt sich wieder). Thatcher passte da ganz gut mit ihrem resoluten und antagonistischen Stil („is he/she one of us?“, lautete die berühmte Frage) - und dieser Politikstil wurde durch die Westminster-Verhältnisse eben noch verstärkt. In Deutschland dagegen ist Konsens und Kooperation und Koalition angesagt – man könnte vom KoKoKo-Modell sprechen. Merkel ist dadurch zwangsläufig geprägt. Das äußert sich dann darin, dass man ihr – großer Unterschied zu Thatcher – ein großes Maß an Pragmatismus zuordnet, was ein anderer Begriff ist für Geduld, was für Trägheit stehen kann oder aber auch Tatenlosigkeit (Kernbegriff des SPD-Wahlkampfes – sehr großer Unterschied zu Thatcher). Vielleicht sollte Peer Steinbrücks neuer Sprechmensch den Slogan unter die Leute bringen: Merkel ist nicht Thatcher, denn die hatte klare Kante. Sie führte. Führung, Frau Merkel! Nun ist aber das deutsche System wenig führungsfreundlich. Denn in dem ganzen KoKoKo zwischen Bund und Ländern, Bundestag und Bundesrat, CDU und CSU, CDU/CSU und FDP, Schwarz-Gelb und Rot-Grün, Kanzleramt und Ursula von der Leyen muss ein Regierungschef oft nur geduldig die Ruhe bewahren und einfach nur moderieren. Was dazu führt, dass die Kanzlerin sich gelegentlich an eine Devise hält, die zwar, wenn die Erinnerung nicht trügt, aus der Westminster-Welt stammt, aber viel besser auf die deutsche Politik passt: "well considered inactivity", wohlerwogene Untätigkeit. Es ist das aus den Verhältnissen rührende Regierungsprinzip der A. M., dass die ruhende Materie die wimmelnden Teilchen anzieht. Wie heißt es so schön schon bei Schiller: „Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht“. Das war angeblich ein Lieblingszitat von Hermann von Helmholtz. Der war Physiker.

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